Eine saloppe Definition hat mir ein hochrangiger Tiroler Politiker geliefert. Er meinte, dass in Österreich der Balkan bereits am Semmering beginnt … und Wien schon zu Asien gehört. Er will sicher nicht namentlich genannt werden.
Komplizierter wird es, wenn man sich die Mitgliedstaaten der Association of the Balkan Athletics Federations ansieht. Denn der Balkan-Country-Club zählt 22 Staaten. Auch Israel, San Marino oder die Ukraine gehören dazu. Nur so als Beispiele. Der ÖLV ist seit 2019 Mitglied der Balkan-Association, und die österreichische Leichtathletik-Elite nützt die Balkan-Wettkämpfe gerne, um sich international zu messen und Ranking-Punkte zu sammeln.
Auch heute ist der Himmel über Craivo blau, diesmal von asphaltgrauen Wolken begleitet. Es hat dreißig Grad. Am Morgen klagen viele über ihre springlebendige Peristaltik. Die meisten im Hotel Einquartierten haben die Nacht auf dem Klo verbracht. Ich auch. Das gestrige Huhngericht – es hatte die Temperatur eines Eisvogels - ist im Verdacht, die Ursache zu sein..
Am Vormittag setzt Ivona Dadic den Mehrkampf mit dem Weitsprung fort. 5,53 m bedeuten den dritten Platz der Gesamtwertung. Da geht noch was. Nachmittag fliegt der Speer im Disziplinenreigen des Hepathlon auf 42,42 m, was die Punktesammlung pusht. Zum abschließenden 800-m-Lauf tritt sie dann nicht mehr an.
Am späten Nachmittag packt Riccardo Klotz seine Stäbe aus. Stabhochspringen ist eine Disziplin für die Grob- und Feinmotorik zugleich. Man braucht lange, um die Abfolge der Bewegungen harmonisch zusammenzuführen. Riccardo beginnt bei 5,10 m. Beim ersten Versuch fällt die Latte, beim zweiten auch. Irgendetwas passt im Ablauf nicht. Der Wind ist auch kein Freund. Den dritten Anlauf bricht Riccardo ab und geht noch einmal zum Startpunkt zurück. Es bleibt nur mehr ein letzter Versuch. Wo endet jetzt die Hoffnung und wo beginnen die Zweifel. Eine schreckliche Situation. Schlussendlich scheitert Riccardo bei der Anfangshöhe. Es wollte nicht sein. Bei mir breitet sich im entlegensten Winkel meiner Gefühle Mitleid aus. Als ich mit Riccardo darüber spreche, lacht er nur. Einen Salto nullo wünscht sich niemand, sagt er, er ist aber immer möglich. Das Sportlerleben geht weiter.
Johanna Plank, die gestern bereits mit der Staffel 44,72 s gelaufen ist, widmet sich heute ihrer Spezialdisziplin, den 100 m Hürden. 13,40 s wurden für sie im Mai gestoppt. Diesmal hat der Wind etwas gegen gute Zeiten und leistet Widerstand. Mit 14,29 s wird Johanna Zehnte.
Eine positive Überraschung liefert Magdalena Lindner beim 200-m-Lauf. Auch in ihrem Lauf macht sich der Wind wichtig. Die schlechte Nachricht ist, dass Magdalena auf 24,11 s heruntergebremst wird. Die gute Nachricht ist, dass Österreichs Paradesprinterin die Bronzemedaille macht.
Direkt unter der Pressekabine befindet sich die Weitsprunggrube. Auch sie kann ein Kraftraum für Sieger und ein Refugium für Gescheiterte sein. Das Absprungbrett spielt oft Schicksal. Ingeborg Grünwald hat längst ihren Anlauf eingerichtet. Sie hat heuer in der Halle 6,42 m in den Sand gesetzt. Schon der erste Sprung gelingt ihr gut. Die letzte Delle im Sand wird bei 6,17 m gefunden. Ein erster Qualitätssiegel. Der weiteste Sprung kommt mit 6,25 m in die Wertung. Das ist Platz 6 in einem hochrangigen Feld. Jetzt ist sogar München in Rufweite.
Um 20 Uhr beginnt für die Hindernisläufer der Badetag. Nach dem Start merkt man, dass es kein Schrumm-schrumm-Lauf wird. Der Türke Yego, ein Klasseläufer mit schwarzer Hautfarbe, enteilt gleich dem Feld und hat bald 80 Meter Vorsprung. Offenbar gibt es auch in Afrika noch Ausläufer des Rila-Gebirges, das zum Balkan gehört. Tobias Rattinger taktet seine Runden und setzt sich vorerst auf den sechsten, dann auf den fünften Platz. Beim nächsten Mal Hinschauen ist er schon Vierter. Bernhard bleibt im hinteren Drittel hängen und braucht immer wieder vor den Hindernissen Zwischenschritte. Er läuft trotz seiner technischen Schwächen eine persönliche Bestzeit und wird Achter. Tobias geht mit 9:02 min durchs Ziel und ist damit Vierter.
Am Tageslichts bin ich mit meinen Weisheiten am Ende und mache Inventur. Die Liste der Freude ist lang. Wir bringen zwei Balkanmeister und viele Top-Platzierungen nach Hause. Eine Analyse von Didi Millonig macht mich besonders neugierig. Wer hat hier in Craiova seine Chancen für die Teilnahme an den Europameisterschaften entscheidend verbessert? Für wen waren die Balkanmeisterschaften eine gute Rutschpartie zu den Europameisterschaften? Dietmar sagt es rund heraus: Magdalena Lindner, Riccardo Klotz, Lena Millonig, Lena Pressler und die Damenstaffel schauen nicht mehr ins Münchner Stadion hinein, sondern stehen schon mitten drin. Strohmayer-Dangl, Ingeborg Grünwald und Patricia Madl haben die Klinke zur Eingangstür in der Hand. Jetzt ist nur zu hoffen, dass die nächsten Wochen sich das Erwartbare erfüllt und sich keine unverhofften Fallgruben auftun. Dann hat sich Craiova wirklich ausgezahlt.
Herbert Winkler