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EM hinter den Kulissen: Siebenkampf

(C) ÖLV

Im Rahmen der EM in München wollen wir in einer mehrteiligen Serie auch einen Blick hinter die Kulissen eines Großereignisses werfen. Heute Teil 3: Der Siebenkampf

Sieben Paar Wettkampfschuhe, unzählige Trikots, warme Überbekleidung, Regensachen, Handtücher, Kühlwesten, Kugel, Speere, Verpflegung, Getränke, und vieles mehr. Wenn eine Siebenkämpferin zu einem internationalen Mehrkampf reist, dann nicht mit leichtem Gepäck. Eine zweite große Tasche ist es jedes Mal, die alle Notwendigkeiten für zwei unbarmherzige Tage im Stadion beinhaltet.

Der Mehrkampf war immer schon Ziel von Bewunderung und leichtem Spott, für die einen sind sie die „Königinnen der Leichtathletik“, für die anderen (mit einem Augenzwinkern) die „Königinnen der Mittelmäßigkeit“, weil sie nichts wirklich gut können. Darin liegt auch das Dilemma der Mehrkämpfer, denen der Tag einfach nicht genug Stunden fürs Training hat und die selten das Gefühl haben, in jeder Disziplin genug für einen Wettkampf trainiert zu haben. Frag nach beim WM-Dritten Kai Kazmirek (GER), der erst kürzlich Markus Fuchs am Telefon gefragt hat wie er es schafft, am Nachmittag um Fünf schon mit dem Training fertig zu sein.

Mehrkämpfer stehen selten im Rampenlicht, neben dem besten Mehrkampfmeeting der Welt im vorarlbergerischen Götzis gibt es nur internationale Großereignisse, um sich zu präsentieren. Da gilt es auf den Punkt genau vorbereitet zu sein um in den 2-3 Momenten im Jahr, in denen es wirklich zählt, Top-Leistungen abrufen zu können. Ein großer Druck von innen und oftmals auch von außen.

Nicht nur Trainingstage sind für Mehrkämpfer lang, ein Wettkampf bei einer EM ist noch viel länger. Die zerteilten Tage mit Vormittags- und Nachmittags-Session machen es nicht einfacher, nur bei Meetings wie im Götzis gibt es athletenfreundliche Zeitpläne, die mehrfaches, in Summe ermüdendes Aufwärmen zu verhindern wissen.

Der Wecker von Ivona Dadic klingelt in München am Mittwochmorgen, dem ersten Wettkampftag, bereits um 6 Uhr. In München steht die erste Disziplin, die 100m Hürden, um 10:30 Uhr auf dem Zeitplan, richtig human, da gab es schon viel frühere Startzeiten. Von der Startzeit rechnet man zurück, je nachdem wieviel Zeit jeder Athlet für Frühstück, Anreise ins Stadion, Warm-up benötigt, um dann rechtzeitig im Callroom zu sein. Sind die Hürden absolviert, geht es „volley“ zum Hochsprung, der nach dem Einspringen um 11:35 Uhr bei größter Mittagshitze absolviert wird. Kühlwesten leisten hier einen wichtigen Beitrag zur Leistungsfähigkeit der Athletin.

Ein interessantes Feature für die Mehrkämpfer ist die „Combined Events Rest Area“, kurz CERA,, also ein Pausenbereich, der von den Athletinnen zwischen den einzelnen Disziplinen genützt wird, wenn sich ein Zurückfahren zum Hotel nicht ausgeht. Zutritt haben hier nur die Athletinnen und je ein Trainer und ein Physiotherapeut je Sportlerin. Ausgestattet ist der Raum mit Matten zum Ausruhen und den Massagetischen der einzelnen Teams. Auch Verpflegung wird zur Verfügung gestellt, manchmal gibt es einen Essbereich, eine Lounge Ecke und ein Eisbad. Der Bereich in München ist exzellent  ausgestattet, er kann als vorbildhaft bezeichnet werden, sogar Luftbetten in einem eigenen Schlafraum gibt es. Auch ein Informationsblatt jeweils für Zehnkampf und Siebenkampf mit allen Details zu den Abläufen wurde produziert und an die Coaches verteilt.

Einer der “Chefs” des CERA ist Edmund Gödde, seit vielen Jahren bei internationalen Events für die Mehrkämpfer abgestellt: “Die Mehrkämpfer waren alle begeistert von den Bedingungen hier, die Möglichkeiten sind auch einzigartig, soviel Platz haben wir selten. Das Catering ist sehr gut, viele sind hier geblieben und haben erst hier gegessen und sind dann erst ins Hotel gefahren. Die Athleten konnten wirklich Ruhe finden, also perfekte Umstände für die Sportler. Unser Anspruch ist es, dass sich die Mehrkämpfer auf ihre Aufgaben konzentrieren können, nämlich für sich und das Publikum die beste Leistung abzuliefern. Wir sorgen dafür, dass sie das können und sich um sonst nichts kümmern müssen. Wir versuchen Mama und Papa für sie zu sein.”

(C) ÖLV

Die Entscheidung, ob man im CERA bleibt oder ins Hotel fährt, wird je nach Situation getroffen.  Wenn die Pause lang ist und die Wege kurz sind, fährt man eher zurück. Bei den Olympischen Spielen in Rio betrug die Wegzeit je Richtung aber über eine Stunde und der Bus war vollgepackt, da blieben viele Athletinnen dann lieber im Stadion.

In der ersten Mittagspause wird also gegessen, wenn nötig oder gewünscht eine Entmüdungsmassage genossen, eventuell zum Runterkommen geschlafen. Vom CERA gelangen die Siebenkämpferinnen dann auch wieder zum nächsten Bewerb, in den Call-Room müssen sie nur zu Beginn jedes Wettkampftages. Am Abend des ersten Wettkampftages sind um 19:49 Uhr dann das Kugelstoßen und um 21:10 Uhr die 200m Läufe zu absolvieren.

Nach jeder Session geht es zusätzlich durch die Mixed-Zonen, erst an den Interview-Positionen der TV-Stationen vorbei, dann zur schreibenden Presse. Läuft der Wettkampf gut, vergeht schon mal mehr als eine halbe Stunde, bis man alle Fragen beantwortet hat, läuft es weniger gut, will man nur möglichst schnell durch – verständlich.Mit dem Eisbad im Teamzelt am Aufwärmplatz startet die Regeneration, um 22:30 Uhr steigt „Team Dadic“ in den Shuttle-Bus zum Hotel, dort gibt es noch Abendessen und Massage.

Anmerkung: In München kam ab diesem Zeitpunkt wegen der Disqualifikation von Ivona Dadic alles anders, aber das ist eine andere Geschichte. Ab hier wird der weitere Ablauf also theoretisch behandelt.

Trainer Philipp Unfried: “Je schneller am Ende des ersten Tages alles abgehandelt werden kann, desto früher findet die Athletin Ruhe und kann sich hinlegen. Wir besprechen meist noch kurz den ersten Tag und legen den Zeitplan für den nächsten Morgen fest.  An ein schnelles Einschlafen ist wegen des vielen Adrenalins trotzdem meist nicht vor ein Uhr zu denken. Aber jede Minute Schlaf zählt, lieber fünf Minuten länger schlafen als zu früh am zweiten Tag am Aufwärmplatz.”

Ca. 5 Stunden Schlaf sind definitiv nicht genug, trotzdem muss man am nächsten Tag wieder auf Weltniveau performen, eine Challenge für sich. Da der Weitsprung, die erste Disziplin des zweiten Wettkampftages, bereits um 9:35 Uhr startet, ist also bereits vor 6 Uhr Tagwache, damit sich alles ausgeht. Coach, Physio und Teamleader stehen schon bereit, kurz nach 7 Uhr geht's ins Stadion. Das Zeitmanagement am zweiten Wettkampftag hängt stark davon ab, ob man in der ersten oder zweiten Gruppe beim Speerwurf ist, die hintereinander durchgeführt werden. Da kann auch schon einmal, wenn dazu Platz ist, mit Ballwürfen im CERA aufgewärmt werden, wenn der Weg zum Aufwärmplatz zu weit ist.

Ab dem Speerwurf geht die Rechnerei dann los, wie der Siebenkampf ausgehen kann. Das kann entspannt sein, wenn sich die Position fast nicht mehr ändern kann, oder sehr stressig, wenn es noch um viel geht. Um 21:55 Uhr ist es endlich soweit, die Siebenkämpferinnen stehen an der Startlinie des abschließenden 800-Meter-Laufes. Zwei Runden zur Glückseligkeit oder zwei Runden Qual, die Entscheidung darüber fiel zumeist schon in den sechs Disziplinen zuvor, nicht immer bringt der siebente Bewerb noch dramatische Veränderungen in der Gesamtwertung. 

Eine Besonderheit bei Mehrkämpfen ist die Ehrenrunde, die nicht nur von den drei Medaillengewinnern, sondern von allen Wettkämpferinnen gemeinsam absolviert wird. Versucht ein Official wie bei der WM in Doha das im Übereifer zu verhindern, dann wird er lächelnd zur Seite geschoben. Diesen letzten gemeinsamen Auftritt lassen sich die „Königinnen“ nicht nehmen, zwei gemeinsame, lange Wettkampftage schweißen auch irgendwie zusammen.

Unfried: „Der Mehrkampf ist ein eigener Bewerb, den man auch richtig vorbereiten muss. Das Gute ist, man kann und muss nicht jede Disziplin so ausformen wie bei einem Athleten in einer Einzeldisziplin. Der Nachteil ist, wenn man nicht gut vorbereitet ist, dann geht der ganze Siebenkampf höchstwahrscheinlich schief. Auf einen `lucky punch`zu hoffen ist keine Option. Wir haben mehrere Trainer im Team, das ist sicher ein Vorteil. Wenn einmal eine Disziplin im Wettkampf nicht so klappt, dann steht bei der nächsten eine andere Person an der Seite der Athletin, da ist es für sie dann emotional leichter, wieder nach vorne zu schauen und das Vergangene abzuhaken. Wir versuchen solche Situationen im Vorfeld anzusprechen, da aber jede Situation anders ist, muss man immer spontan darauf reagieren und Lösungen finden. Wichtig ist, je besser Trainer und Athletin selbst reflektieren können, desto besser funktioniert es.”

(C) ÖLV

Fotos: © ÖLV

19/08/22 16:07, Text: Georg Franschitz

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