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EM hinter den Kulissen: Team-Organisation

(C) GEPA Pictures

Im Rahmen der EM in München wollen wir in einer mehrteiligen Serie auch einen Blick hinter die Kulissen eines Großereignisses werfen. Heute Teil 1: Team-Organisation

Von einem Athleten weiß man, dass er fast täglich trainiert, zwischendurch Wettkämpfe bestreitet und dann irgendwann bei einer EM/WM/OS am Start steht. Wie viele Heinzelmännchen im Hintergrund aber das ihre dazu beitragen müssen, damit der Sportler dann am Tag X auch wirklich am Ort Y gut ankommt und im Stadion Z in seinem Wettkampftrikot am Start steht, wird das „Oberheinzelmännchen“ erklären.

ÖLV-Sportkoordinator Hannes Gruber, Anfangs der 80er-Jahre selbst mehrfacher Staatsmeister von 3.000m Hindernis über 10.000m bis Crosslauf, hat mittlerweile mehr als 20 Jahre Erfahrung als „Team-Leader“, quasi der Chef-Organisator des ÖLV-Teams bei Großereignissen. Insgesamt über 80 Events betreute er schon, darunter 5 Olympische Spiele, 22 Welt- und 19 Europameisterschaften, woraus sich ein unglaublicher Fundus an Erfahrung, Wissen, Kontakten und dadurch resultierend ein enormer Vorteil für den ÖLV ergibt.

Was haben also er und noch viele andere alles zu tun, damit es von A bis Z funktioniert? Wann geht die Arbeit los, wann endet sie? Wie sieht also der Weg von der Vergabe der EM bis zum Verschwinden der Athleten in den Callroom aus.

Der Austragungsort eines internationalen Groß-Events hat nicht nur Auswirkungen auf die Anzahl von österreichischen Fans, die zum Austragungsort reisen, er beeinflusst maßgeblich die Kosten für das Team und die notwendige Reiselogistik. Insofern war die Erleichterung groß, als München die EM zugesprochen wurde. Man bedenke nur die verschwundenen Stabhochsprungstäbe von Magdalena Rauter auf dem Weg zur U18-EM nach Jerusalem.

Vom Site-Visit zur Trikot-Bestellung

Die Arbeit für das ÖLV-Büro beginnt mit einem “Team Leaders Site Visit” vor Ort, welcher ca. 8-10 Monate vor dem Event stattfindet. Dort geht es um Kennenlernen der Schlüsselpositionen (World Athletics Staff, Technical Delegates), LOC (v.a. Accommodation Manager), Besichtigung der Sport-Anlagen, der Teamhotels (werden beim Großereignis nicht vom Veranstalter bezahlt), der Infrastruktur, Informationen zu official Airports, Deadlines etc.

Hannes Gruber: „Am Beispiel der WM in Doha sieht man, welch enorme Vorteile eine Teilnahme an diesem Site-Visit bringen. Die Teamhotels hatten sehr unterschiedliche Qualität. Letztlich haben wir es geschafft, mit den USA und Deutschland im Marriott Marquis zu wohnen. Es war an eine riesige Shopping Mall mit Cafés etc. angeschlossen, bei täglich bis zu 40°C Außentemperatur extrem wichtig, dass man nicht raus musste. Und es war am nähesten zum Stadion, also ein relativ kurzer Transfer. Bei der EM in Zürich waren mehr als die Hälfte der Teamhotels am Airport in Kloten, suboptimal für unsere Läufer/innen. Wir konnten das verhindern und hatten dann ein Hotel in der Nähe des Regensdorfer Trainings-Stadions.“

Dann geht die Arbeit so richtig los:

  • Mögliche Anreisetage planen (lt. Zeitplan) und prüfen, ob Gruppenbuchung oder Einzelbuchungen besser sind
  • In Absprache mit Trainern entscheiden, ob ein Pre-Camp erforderlich ist. Wenn ja, Informationen einholen, selektionieren des Ortes und Camp organisieren
  • Einteilung der Medical Teams für die internationalen Höhepunkte
  • Preliminary Entries 4-6 Monate vor WM/EM-Beginn mit realistischer Teamgröße einmelden
  • Bestellen eines Physioraums für med. Equipment (Kühltruhe, Lagerung Kühlwesten, Massagetische …) beim LOC
  • Prüfen des “I run clean”-Status (verbindlich bei European Athletics) und der Portraitfotos/Reisepässe der Athlet/innen und möglicher Betreuer
  • Teamdressen (inkl. etwaiger Sponsoren) bei ERIMA bestellen, bedrucken und bei WA bzw. EA deklarieren (“kit approval”).
  • Nach der Qualifikations-Deadline: Final Entries einmelden (sind bindend). Exakte Eingabe von Aktiven inkl. Bewerb(e), Officials, Reisedaten, Rooming List

(C) ÖLV

Knappe Betreuerquoten, Fähigkeiten als Reiseleiter und Klagemauer

Eine besondere Herausforderung stellt jedes Mal die Betreuerquote dar. Je nach Anzahl der Athleten sind nur eine gewisse Anzahl an Betreuern zugelassen, da zählen Coaches, Arzt, Physio, Teamleader, usw dazu. In München sind bei 14 Athleten nur 8 Betreuer erlaubt, die Betreuerquote sinkt seit Jahren leider kontinuierlich. Der ÖLV ist hier (im Unterschied zu anderen vergleichbaren Verbänden) aber immer sehr großzügig und versucht möglichst viele Heimtrainer und ein großes Medical Team mitzunehmen. Das ist dann aber nur über sehr teure Personal Coaches-Akkreditierungen möglich. Wenn machbar, sollten diese Personen auch im Teamhotel unterkommen, manchmal gelingt das, manchmal aus Kapazitätsgründen nicht.

Die Anreise des Team-Leaders zum Wettkampf erfolgt meist schon einen Tag vor dem Team bzw. der ersten Gruppe, es ist viel zu tun:

  • Team Accreditation (Team Payment, Dressen-Check, Hymnen- und Flaggen-Check …)
  • Zimmer-Check (ob analog zu den Final Entries), Reservierung Meetingroom für Teambesprechung (meist schon per Email vorab avisiert), Orientierung (wo sind Stopps für Shuttlebusse, Fahrpläne, Info-Desk, …)
  • Trainingsstadion und Aufwärmstadion checken
  • Final Confirmations, Relay Order
  • Abgabe der Personal Implements (zuletzt Disken Weißhaidinger, Speere Hudson und Mehrkämpferinnen) und prüfen, ob okay oder rejected (in Tokyo wurden zwei Disken erst abgewiesen, nach einer Anfrage an den Technical Delegate dann aber doch zugelassen).

Am Tag vor dem ersten Bewerb gibt es für die Team-Leader eine „Stadium Orientation Tour“ und das Technical Meeting während des einzigen offiziellen Trainings im Hauptstadion. Hier lernt man alle entscheidenden Wege kennen (Warm-Up, Callrooms (First und Final), Mixed Zone, Post Event Area, Combined Events Resting Room, Doping Control Room). Auch die speziellen Karten für die Coaching Zonen (Sprung, Wurf, Mehrkampf) werden hier ausgegeben.

In einem anschließenden Team-Meeting werden all diese Informationen (inkl. Aufstiegsmodi, Sprunghöhen, Callroom-Zeiten,…) ans gesamte Team weitergegeben, eine Whatsapp-Gruppe innerhalb des Teams erleichtert diese Aufgabe in den letzten Jahren deutlich. Auch für alle Team-Leader und den Veranstalter existiert so eine Gruppe, wodurch häufige Wege ins Technical-Information-Center (TIC) wegfallen.

Ist das Athlet/Trainer-Duo dann am Aufwärmplatz, gilt es nur mehr die Callroom-Zeiten im Auge zu behalten.

Hannes Gruber: „Mit dem Verabschieden in den Callroom steigt die Spannung. Ab dort sind die Athleten auf sich alleine gestellt. Mit jeder WM/EM verbessert sich dabei aber auch für sie die Routine. Ein Wiedersehen gibt es nach Wettkampf, Mixzone und Post Event Area dann erst wieder am Aufwärmplatz. Im Laufe der Jahre lernen sich die Team-Leader und WA/EA-Staff untereinander kennen. Man tauscht sich aus und unterstützt sich gegenseitig, kurzfristig auftretende Probleme können so viel leichter und schneller gelöst werden.“

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Legionen von ÖLV-Team-Mitgliedern der letzten zwei Jahrzehnte können bestätigen: gibt es keine Information, die Hannes Gruber nicht schon vor allen andern hat, kein Problem, das er nicht lösen kann, keine Herausforderung, die ihm zu groß ist. Dabei bleibt er immer ruhig und ausgeglichen und steht als Blitzableiter jederzeit zur Verfügung. Ganz nebenbei nützt er die Großereignisse, um mit seinen Kollegen aus anderen Nationen und EA oder WA Terminkalender zu besprechen, Startplätze für ÖLV-Athleten bei Meetings und Straßenläufen zu vereinbaren, Statistik-Bücher zu besorgen und internationale Kontakte zu knüpfen oder zu intensivieren, die dem ÖLV irgendwann sicher zu Gute kommen werden.

Wichtig ist ihm aber festzuhalten: „Ohne einem eingespielten Team im ÖLV-Büro mit Helmut Baudis (in alle Bereiche involviert), Bernhard Rauch (Buchungen Flüge, Buchungen Mietautos, Organisation und Teamleitung im Nachwuchs) und Georg Stubner (Organisation Einkleidung, Gerätetransport) würde dieses Entsendungsvolumen mit OS/WM/EM (Halle, Freiluft, Team, Cross, Berg/Trail), Europacup (10.000m, Wurf), Länderkämpfen und seit kurzem auch die Balkan-Meisterschaften nicht machbar sein.“

Fotos: © GEPA Pictures, ÖLV (nicht honorarfrei verwendbar)

15/08/22 12:45, Text: Georg Franschitz

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