Die Stimmung im Team ist bestens. Obwohl Leichtathletik kein Mannschaftssport ist, werden heute alle für jeden mitfiebern. Auch Sonja Spendelhofer, die ÖLV-Präsidentin, ist nach Györ gekommen. Sie ist nicht nur Präsidentin, sondern auch Nebenbei-Athletin. Über Freud und Leid im Sport braucht man ihr nichts erzählen.
Das Medical-Team hat auch bereits ihre Positionen bezogen. Das Freiluftzelt ist gut besucht, und die Physio-Streckbank ist schon aufgestellt. Elisabeth Pauer und Michi Drnek können mit schmerzhaften Griffen hartnäckige Muskeln schmerzfrei machen. Unser Doktor, Florian Wepner, ist im Orthopädischen Spital oberer Arzt für die unteren Extremitäten und weiß, wie man körperliche Disbalancen wieder ins Lot bringt. Die, die sich der Medical-Mannschaft anvertrauen, sind in guten Händen.
Als Clara Baudis um 10 Uhr im Hammerbewerb startet ist die Sportarena noch kuschelig leer. Allerdings sitzt der Clara-Fan-Club, der über 20 Mitglieder hat, auf der Tribüne. Clara hat sich mit 55,84 m den Eintritt in die U18-EM verschafft. Der erste Wurf ist zum Warmschauen: 50,27 m. Den kann sie dann mit 51,92 m noch toppen. Gut gemacht. Dafür, dass sie lange Zeit verletzt war, passt jetzt wieder alles gut.
Auch Schuler Chiara-Belinda und Zeitlhofer Romana beginnen am Vormittag mit dem Siebenkampf. Beide haben über 5.100 Punkte auf dem Menüzettel stehen. Schon der erste Gang gelingt ansatzlos. Romana läuft über 100 m Hürden mit Gegenwind eine 14er-Zeit, Chiara ohne Rückenwind eine 13er-Zeit. Auch im Hochsprung geht es hurtig bergauf. Chiara springt so hoch wie nie zuvor und überquert die Latte mit 1,57 m. Nach der Hoch- und Tiefrechnung ihrer Trainerin, Ruth Laninschegg, ist sie nun etwa 100 Punkte über ihrer bisherigen Zwischen-Bestleistung. Ihre Mama Tatjana ist extra aus Vorarlberg angereist und hat schon nach dem Hochsprung ein wolkenfreies Gemüt. Romana Zeitlhofer kämpft im Hochsprung mit der Gravitation und der widerborstigen Latte, die nach 1,51 m nicht mehr liegen bleiben will. Das drückt auf die Motivation.
Dann werden die 400-m-Vorläufe der Girls gestartet. Mitten drin Anna Mager aus Vorarlberg. Gern hätte ich jetzt eine Trommel, um ordentlich Krach zu machen. Auf der langen Sprintstrecke ist Sauerstoff ein kostbares Gut, und man darf nicht zu aufdringlich anlaufen. Anna macht alles vorbildlich. Sie läuft trotz Hitze ein wohltemperiertes Rennen und bleibt 17 Hundertstel über ihrer Bestzeit. Damit qualifiziert sie sich für einen weiteren Lauf. Halleluja.
Bei den 100-m-Vorläufen kommt mir alles durcheinander. Es gibt gefühlte 50 Vorläufe und man kommt mit dem Schauen nicht nach. Doch so viel weiß ich noch: Nichols-Bardi Daiyehan liefert einen Lauf ohne Lichtbrechungen und qualifiziert sich sicher für den Zwischenlauf. Auch der Sprint von Mahlfleisch Katharina gelingt gut und erlaubt den Eintritt ins Semifinal-Kino. Für Melissa Parrella aus der Steiermark geht sich ein Nachspiel nicht aus. Sie werden wir wieder in der Medley-Staffel sehen.
Aufmerksame Beobachter können bei der U18-Meisterschaft den ästhetische Unterschied zu den Fußballern in Russland studieren. Während viele Kicker am Körper reich bebildert sind, sind Tattoos in Györ nicht zu sehen. Keine Schlange, kein Löwe, kein Mami ist die Beste ziert die Oberarme. Die jugendliche Ausstrahlung ersetzt die Tätowierungen.
Am Nachmittag bereitet sich die Sonne auf einen Supernova-Ausbruch vor. Es hat über 30 Grad. Man sitzt bereits in der prallen Beleuchtung der pannonischen Sonne. In der ungeschützten Arena gilt: Wo viel Licht ist, ist auch kein Schatten.
Henkes Ben wird von einem Riesenanhang begleitet. Seine Freunde füllen eine ganze Tribüne vor der Hochsprunganlage. Er bietet bei seinem Debüt eine gute Show, die bei 1,96 m endet.
Ripfel Laura hat sich für den 800m-Lauf viel vorgenommen. Die Gegnerinnen sind durchaus in Reichweite. Das bleiben sie auch bis zum Schluss. Laura läuft im vorderen Feld der Karawane mit. Dann wird beschleunigt, und die Gruppe bietet keine Freundschaft mehr an. Laura wird mit 2:17 min gestoppt. Eine mondtrübe Leistung ist das nicht.
Grünwald Ingeborg startet im Weitsprung. Eine Disziplin, die zu den tückischen und schicksalsträchtigen gehört. Übertritt man im ersten Versuch, kommt man schon ins Gefühlscasino. Das gilt aber nicht für Ingeborg. Sie lässt kein Gruseln aufkommen und bringt drei gültige Sprünge in die Grube. Der weiteste ist 6,01 m. Damit kommt sie ins Finale, und wir werden sie morgen wieder sehen.
Die meisten Bewerbe kann ich dann nur mehr bruchstückartig verfolgen. Die Wettkämpfe der Österreicher sind über den ganzen Sportplatz verteilt und meine Konzentration erleidet einen Ermüdungsbruch. Mir entgleiten die Zeiten und Weiten. Einiges bekomme ich aber gut mit.
Dibo Will ist im Diskuswerfen zugegen. Er hat einen tollen Körper. Ich schaue neben ihm wie ein Kohlensack aus. Seine Steigerungen von Wurf zu Wurf bekomme ich mit. 41, 44 und 46 Meter. Schade, dass es dann aus ist. Noch drei Versuche und die 50 Meter wären fällig geworden.
Vom Siebenkampf wird gemeldet, dass die persönlichen Bestleistungen von Chiara wie Running sushis daher kommen. Diesmal liefert sie mit der Kugel eine Superleistung ab. Auch Romana wird in ihrer Gruppe hervorragende Zweite. Es geht wieder aufwärts. Nach dem 200-m-Lauf ist Chiara Schuler im Siebenkampf auf Medaillenkurs.
Dann kommt noch der Lauf mit der Fußwaschung. Seiler Lotte Luise startet über 2.000m Hindernis. Sie ist in ihrem Lauf als Vorletzte gereiht. Es gibt den Blütenstaub der Hoffnung, schneller als 7:12 min zu laufen. Doch schon in der ersten Runde sieht man, dass dies kein Valiumlauf wird. Lotte geht nicht mit dem Pulk mit, sondern sucht ihren eigenen Rhythmus. Am Ende sieht sie, dass sie noch eine Läuferin überholen kann. Sie riskiert den neunten Kreis der Hölle und kämpft sich an die Polin heran und vorbei. Bei 7:28 min ist dann für Lotte Badeschluss. Sie hat sich bei ihrer ersten EM gut präsentiert.
Ich (BIld rechts beim Schreiben) brauche jetzt ein Getränk, und es braucht auch nicht alkoholfrei zu sein. Bleiben Sie dran. Der morgige Tag wird spannend.
Text: Herbert Winkler