.

U18-EM: Innenansichten aus Györ - Freitag

U18-EM: Innenansichten aus Györ - Freitag

Bei der U18-EM dabei zu sein, ist ein kostbarer Gewinn. Unsere Jugendlichen verbreiten eine entspannte und kollektive Atmosphäre, die weder durch Starallüren noch Saturiertheit eingeengt ist. Freud und Frust sind netto spürbar. Natürlich stehen auch bei U18-Jugendlichen der sportliche Ehrgeiz und der Leistungswille im Vordergrund. Aber genauso wichtig sind das Gruppenfeeling und die Freundschaften. Man bleibt nach dem eigenen Wettkampf im Stadion, um andere zu motivieren und im Bedarfsfall zu trösten. Die Frische, die diese Girls und Boys ausstrahlen, ist Botox für die Seele.

Das Wetter präsentiert sich heute moderat, und die Sonne und der Wind sind nicht aufdringlich. Gottseidank. Der Wind hat gestern einige Bewerbe zum Glücksspiel gemacht. Manchmal hat er von hinten angetaucht, dann wieder von vorne gebremst. Daniela Kreft kam im Weitsprung arg unter die Windräder und konnte ihr Potential nicht zeigen. Auch bei den 100-m-Läufen gab es die Windlotterie. Wie ein bockiges Kind wechselten die Luftmassen ihre Richtung und verfälschten dadurch die Zeiten.

Auch die Startorganisation kann man kritisieren. Daiyehan Nichols-Bardi hatte das Pech, dass er das Semifinale zweimal laufen musste. Es kam zu einem Fehlstart. Die Läufer liefen mit vollen Watts den Lauf zu Ende, da sie das Abbruchkommando nicht gehört hatten. Dazu schimpfte dann der Starter die Läufer noch. Hallo? Geht’s noch? Dass man sich über eine Laufwiederholung nicht freut, versteht sogar ein Mensch mit Intelligenz-Instabilität. Schade für Nichols-Bardi.

Womit ich mit dem Negativen fertig bin und zu den Freuden komme. Um 10 Uhr setzen Schuler Chiara-Belinda und Zeitlhofer Romana den Siebenkampf fort. Es geht darum, den Balken zu treffen und weite Sprünge in den Sand zu setzen. Das gelingt beiden gut. Chiara liegt danach im Gesamtklassement an fünfter Stelle. Romana hat das Labyrinth der Enttäuschungen verlassen und liegt jetzt an 15. Stelle.

Gleichzeitig geht es für Latzelsberger Oliver um Höhenflüge mit dem Stab. 4,70 m sind ihm bisher gelungen. Eine leichtathletische Viertelbildung reicht für einen Trainer nicht aus, um die vielen Bewegungsteilchen eines Sprunges zu analysieren. Alexander Röhrenbacher kennt die komplizierten Bewegungsabläufe unter- und oberhalb der Latte und steht Oliver bei seinen Sprüngen bei. Der Bewerb zieht sich in die Länge, und Oliver kommt schließlich nahe an seine Bestmarke heran. Er springt  4.55 m als Mindestsicherung, scheitert dann aber an 4,70 m. Eigentlich schade. Ich hätte gerne länger zugeschaut.

Der 1.500-m-Lauf der Mädchen mit Meusburger Anna-Sophie wird ein besonderer Leckerbissen. Gleich nach dem Start bildet sich ein Pulk, in der alle Läuferinnen dicht zusammen sind. Drei Läuferinnen laufen wie Bodygards auf einer Linie vor dem Feld und sperren alles ab. Wenn man hier ein Überholmanöver riskiert, läuft man Gefahr, auf allen Vieren weiterzulaufen. Anna bleibt klug und couragiert auf der zweiten Bahn knapp hinter der „Absperrung“. Das ändert sich sehr lange nicht. Wie vorherzusehen war, steigt man dann einer Konkurrentin im Getümmel auf den Schuh. Sie kommt zum Sturz. Am Ende fächert sich das Feld auf, und Anna führt die zweitgereihte Gruppe an. Ihr Endspurt gelingt gut. Sie wird Achte und trägt sich 4:42 min in ihre Biographie ein.
 
Dann folgt der Lauf, in dem sich leicht die Salze der Milchsäure bilden. 400 m, auf denen noch dazu Hürden im Weg stehen. Adrenalin im Blut reicht nicht aus, um auf dieser Stadionrunde beschwerdefrei zu bleiben. Österreich hat für die lange Hürdenstrecke ein Kleeblatt nominiert. Zweimal weiblich und zweimal männlich. Und die Vier schlagen sich in den Vorläufen sehr gut.

Köhldorfer Leo und Pressler Lena sind allerhöchste Hoffnungsträger und bestätigen das auch. Sie präsentieren einen Lauf, der sie ins Halbfinale trägt. Scherer Stefan und Riegler Vanessa liefern auch einen zeitknappen Lauf ab, müssen aber am Ende ihre hohes Tempo reduzieren. Tolle Vorstellung.

Dann werden die Hürden wieder verräumt, denn zum Abschluss des Vormittages werden die Vorläufe über 800 m männlich angeboten. Auch diese Strecke macht die Lunge eng, wenn man es zu presto anlegt.

Schusser Morgan hat noch den gestrigen Lauf über 1.500 m in den Beinen. Heute zeigt er, dass auch 800 m für ihn keine Themenverfehlung sind. Er muss sich erst am Ende des Laufes geschlagen geben und wird Fünfter. 

An Seyringer Paul hat man aufgrund seiner tollen Leistungen hohe Erwartungen. Die werden souverän erfüllt. Er lässt sich auf keine Scharmützel ein und liefert den erwarteten Überbingo. Müßig zu schreiben, dass er in die nächste Runde aufsteigt.  

Am Nachmittag habe ich nur kurz eine trockene Sicht der Dinge. Um 17 Uhr öffnet der Himmel seine Schleusen, und es regnet als wären zwei Monate Trockenzeit wettzumachen.

Als ich ins Stadion komme, herrscht verhaltener Jubel. Chiara Schuler hat den Speer im vorletzten Bewerb des Heptathlons auf über 48 m geschleudert. Die Rechnung nach Herrn Riesen Adam ergibt, dass sie damit vor dem 800-m-Lauf silbrig zu glänzen beginnt. Doch gemach, gemach. Die Entscheidung fällt erst in zwei Stunden. Ich frage unseren Doktor vorsorglich, wo er den Defibrillator hat.

Um 18.40 Uhr startet Reicht Carina über die 3.000m. Ihr Coach ist Roman Weger, der lange Jahre Österreichs Aushängeschild im Marathon war. Carina ist schon einmal 9:37 min gelaufen und ist auch heute gut motiviert. Nach dem Start fädelt sich das Feld wie eine Perlenschnur auf, und Carina läuft in zweiter Position einen flotten, aber ruhigen Schritt. Wir sind begeistert. Drei Runden vor Schluss schieben einige Läuferinnen ein Intervalltraining ein. Jetzt bekommt der Lauf die Gemütlichkeit eines Hornissennestes. Carina rutscht auf die sechste Position. Sie scheint aber kein Bisschen müde zu werden. Die letzte Runde wird spannend. Kann Carina ihr Tempo halten? Wir feuern sie aus vollem Hals an. Und Carina kann. Sie spurtet mit 9:35,66 min über die Ziellinie. Sechster Platz und persönliche Bestzeit. Dafür bekäme man im Judo den schwarzen Gürtel.

Mager Anna, die schon gestern eine nützliche Überraschung war, macht im Zwischenlauf über 400 m nochmals gute Figur. Ihre Zeit bleibt unter Chopins Minutenwalzer: 56,86 sec. Gratulation.

Rauscher Michael rehabilitiert sich für den missglückten Hürdenlauf. Diesmal steht ihm auf der Bahn nichts im Wege, und er trommelt 22,57 sec auf die Bahn. Feine Leistung.

Der abschließende 800-m-Lauf der Siebenkämpferinnen bietet dann Hitchcock-Feeling. Chiara Schuler hat die Chance auf einen Podestplatz. Die Mannschaft steht geschlossen hinter ihr, und ich bereits auf einer Sitzbank. Drei Athletinnen sind im Punkteklassement knapp hinter ihr. Auch sie wollen aufs Stockerl. Chiara hängt sich gleich nach dem Start hinter die Schwedin, die ihr eine Medaille abspenstig machen könnte. Vorne geht die Post ab. Chiara setzt auch nochmals zu, schwimmt auf der Milchsäure ins Ziel und liefert nochmals eine persönliche Bestzeit.

Das ergibt den dritten Platz im Siebenkampf, mit 5,615 Punkte eine neue Bestleistung und die Bronzemedaille. Was soll man dazu sagen? Juhuu, bravo und … Chiara wir sind stolz auf dich.
 
Der heutige Tag bekommt einen Ehrenplatz im Kalender des ÖLV. Leo Köhldorfer, Lena Pressler und Paul Seyringer haben den Aufstieg in die nächste Laufrunde geschafft, und am Hals von Chiara Schuler hängt eine Bronzemedaille.   

Ich werde nun einen Baum umarmen oder wenigstens eine Bierflasche.

Text: Herbert Winkler

06/07/18 09:20, Text: Bernhard Rauch


zurück