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U18-EM: Innenansichten aus Györ - Samstag

(C) ÖLV

Über Györ und der Mannschaft liegt ein Hochdruckgebiet. Der gestrige Erfolgstag hat viel Freude bereitet. Olivia und Helmut richteten ein kleines Fest aus, um die Bronzemedaille von Chiara zu feiern. Sie sind ein eingespieltes Team, das den emotionalen Kachelofen der Mannschaft gut beheizt. Das tut gut. Mir und anderen wurde allerdings durch die vielen Erfolge der Schlaf-Wach-Rhythmus gestört. Wir haben Chiara Schuler und Ruth Laninschegg gestern bei einem Hausbesuch in einem Kellerlokal hoch leben lassen. Nein, die aufgehende Sonne haben wir nicht erlebt.

Die Logistik der Ungarn ist lobenswert. Wir werden mit menuettartiger Präzision ins Stadion und zurück geführt. Alle 10 Minuten fährt ein Bus. Auch sind immer gekühlte Wasserflaschen verfügbar und auch sonst herrscht Ordnung. Naja, das stimmt jetzt nicht ganz. Das Essen findet in einer riesigen Sporthalle statt. Hier geht es zu wie bei der Seehundfütterung in Schönbrunn. Das kann man aber den Organisatoren nicht anlasten. Sie müssen über tausend Personen mehrmals am Tag mit Essen versorgen. Und das machen sie großartig.

Der gestrige Regen hat sich verabschiedet und die Wolken sind bereits austherapiert. Immerhin ist es am Morgen kühl und frisch.

Um 10 Uhr sitzen Matheo Ablasser und Daniel Bertscher in ihren Startmaschinen für den 100-m-Lauf. Der Zehnkampf beginnt. Matheo hat bisher 6.528 Punkte auf seinem 10-Kampf-Konto, Daniel 6.753 Punkte. Der Beginn des Zweitage-Events gelingt ihnen phantastisch. Der Wind kommt diesmal nur aus einer Richtung und gibt Rückendeckung. Matheo bringt 11,48 sec und Daniel gar 11,05 sec auf den Kunststoffteppich. Im Weitsprung kommt auch Freude auf. Beide springen über 6 m. Allerdings hat Daniel bei seinen 6.29 m im ersten Versuch eine Ahnung von Zwicker im Oberschenkel verspürt.

Werner Prenner, der die Leistungen aller Erd- und Venusathleten kennt, ist die nächsten zwei Tage Coach von Matheo. Er hat bisher nur Parade-Athtletinnen bewundert. Mit dem Schauen ist es aber vorbei. Jetzt steht  für ihn nur mehr sein Schützling im Mittelpunkt.

Der Wind hat dann auch beim Weitsprung eine horizontale Hauptrolle. Das spielt Leo Lasch nur teilweise in die Sprungkarten. Er übertritt den ersten Versuch und löst bei mir einen Reflux aus. Der zweite Sprung passt dann gut und bringt die Qualifikation für morgen. Leos Mutter ist auch in die Tiefebene gekommen. Sie ist über den Quali-Sprung ihres Sohnes erleichtert und stolz, noch dazu, da die 7,03 m ohne Rückenwind gelungen sind. Ich wünsche ihr für morgen einen niederen Blutdruck und bringe vorsichtshalber Riechsalz in die Sportarena mit.

Bald darauf fetzt Johanna Plank über die Hürden. Ich bin schon froh, dass sie nicht  - wie beim Hürdenlauf der Burschen - zum „Fallbeispiel“ wird. Die Uhr zeigt eine persönliche Bestzeit an, bleibt aber aufgrund des Windes ein Fake. Dass sie sich direkt für höhere Weihen qualifiziert hat, ist aber evident. Johanna steht am Abend wieder am Start.

Dann treffe ich Chiara-Belinda Schuler. Sie wohnt noch immer in Wolke Acht. Sogar das Fernsehen hat sie für ein Interview gebucht. Da werden die Bregenzerwälder aber ziemlich schauen.

Vom Speerwurf erfahre ich, dass Anna Neunteufl knapp an ihre aktuelle Bestleistung herangeworfen hat, was ihr den 22. Rang bescherte. Das hätte ich gerne gesehen.

Florian Wepner hatte bis heute glücklicherweise wenig zu tun, was vermutlich mit dem positiven Karma von Elisabeth Pauer zu tun hat. Dann die Hiobsbotschaft. Der Oberschenkel von Daniel Bertschler macht Probleme. Marandjosef. Florian springt sofort auf und kümmert sich gemeinsam mit Michi Drnek um Daniels Fitness. Hoffentlich ist es nichts Ernstes.

Spannend wird es im Medley-Lauf, der so selten durchgeführt wird wie ein Marathonlauf in der Sahelzone. 1.000m sind auf die vier Kurzstrecken aufgeteilt. Aus der rotweißrote Republik sind die besten Speedgirls dabei: Melissa Parrella, Katharina Mahlfleisch, Anna Mager, Viktoria Willhuber. Sie starten im letzten Lauf. Um die Chancen für das Aufsteigen ins Finale zu erfahren, müsste man in Delphi anrufen. Es versagt jede Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die Mädels brauchen aber gar kein Orakel. Sie fighten als gäbe es kein Morgen. Sie laufen trotz nudeliger Übergaben in die Qualifikation und lassen neun Staffeln hinter sich. Darunter so starke Nationen wie Schweden oder Belarus. Ach, ist das schön.

Am Nachmittag tritt die Sonne das Gaspedal wieder ganz durch und brütet 30 Grad aus. Ich stehe schon um 18 Uhr vor einer durstbedingten Ohnmacht.

Dann fließen mir die Erfolgsmeldungen im Stakkato ins Wordprogramm. Meine Schreibgeschwindigkeit hinkt nicht mehr, sondern lahmt bereits.

Um 17.30 Uhr kommen die Läufer über die lange Hürdenstrecke ins Stadion. Leo Köhldorfer ist im zweiten Semifinallauf dabei. Vielleicht geht sich eine Steigerung seiner bisherigen Bestzeit von 53,17 sec aus, vielleicht sogar der Einzug ins Finale. Mit dem Konjunktiv kann man aber nichts anfangen. Nach dem Startschuss geht es Leo schnell an. Er läuft unter dem Motto: just risk, no fun. Lange Zeit ist er gut im Rhythmus, erwischt dann aber nicht jede Hürde im genormten Laufschritt. Sein Endspurt ist sehenswert. Und dann wird der Konjunktiv zum Indikativ. 52,84 sec bedeuten neue persönliche Bestzeit (?) und den 10. Platz.

Dann kommt Lena Pressler. Sie hat die Chance, mit einem Tipp-topp-Lauf ins Finale zu kommen. Das sagt sogar ihre Trainerin Viola Kleiser, die immer sehr vorsichtig prognostiziert. Lena kommt gut aus dem Startblock und spurtet in den locker gesetzten Hürdenwald. Bald wird klar, dass sie bei den Vorderen dabei sein wird. Ich werde zum Nägelbeißer. Als das Ziel näher kommt, kommt Lena auch den Führenden näher. Dann gibt sie nochmals den Keilriemen hinauf und spurtet das gesamte Feld nieder. Unfassbar. Sie läuft nicht nur ins Finale, sie stellt auch mit 69,20 sec einen nationalen U18-Rekord auf.

Bald darauf kommt die Adler-Athletin Johanna Plank. Sie hat sich schon am Vormittag über 100 m Hürden für das Semifinale qualifiziert. Auch diesmal läuft Johanna in unglaublichem Tempo über die Hürden. Sie wird Zweite und liefert mit 13,62 sec eine PB (bisher 13,68s) ab. Was soll da noch die Frage in der mixed zone, wie der Lauf war. Ich bin ja selbst ganz aus dem Häuschen.
Danach liegen im Stadionrund Tragödie und Euphorie nur 60 Meter auseinander. Die Italienerin Besana stürzt als souverän Führende in ihrem Hürden-Semifinallauf über das letzte Hindernis und der Ukrainer Kokhan schleudert den Hammer auf Weltrekordweite. Auch das ist Leichtathletik.

Dann kommt noch Paul Seyringer und bestreitet das Semifinale im 800-m-Lauf. Er zieht gleich nach der ersten Kurve weit davon und lässt seine Konkurrenten ratlos zurück. Sie sehen bis 100 m vor dem Ziel nur seine Rückennummer. Ich bekomme eine Gänsehaut wie das Profil der Hohen Tauern. Der Coup, über die Zeitregel ins Finale zu laufen, geht sich nur knapp nicht aus. Aber es war ein abenteuerliches und spannendes Rennen. Fad ist da niemanden geworden.

Am Ende des Tages komme ich drauf, dass ich die Zehnkämpfer aus den Augen verloren habe. Die vielen Rekorde und Top-Platzierungen haben mein Schreibprogramm durcheinander gebracht. Das Wichtigste habe ich aber mitbekommen. Der Oberschenkel von Daniel hat nach der Behandlung weder beim Hochsprung noch über die 400 m Mucken gemacht. Das ist vor allen Michi Drnek zu verdanken, der die magische Flossing-Methode beherrscht. Er sollte vom ÖLV einen Ehrentitel bekommen.

Einmal noch schlafen, und es wird nochmals spannend. Bleiben Sie dran.

Text: Herbert Winkler

07/07/18 09:34, Text: Bernhard Rauch


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