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U20-WM: Innenansichten aus Tampere - Donnerstag

(C) Hasse Sjögren

Die Fahrt von Helsinki nach Tampere dauert zwei Stunden. Dann ist man auf dem 61. Breitengrad und auf 114 m Seehöhe. Die Stadt bietet Backsteinbauten und üppiges Grün. Die Finnische Seenplatte verliert sich in dunstigen Weiten. Tampere ist die größte Stadt Skandinaviens, die im Binnenland liegt. Trotzdem ist hier das meiste Wasser Finnlands versammelt. Im Stadion von Tampere sind dagegen die besten U20-Junioren der Welt versammelt. Sie werden an sechs Tagen ihre MeisterInnen küren.

Heute steigen drei HoffnungsträgerInnen aus der alpinen Republik in die Wettkämpfe ein. Darunter ist auch eine erfahrungserprobte Titelverteidigerin. Um 9.30 Uhr geht es mit dem Siebenkampf los. 

Sarah Lagger und Andrea Obetzhofer beginnen mit dem Hürdenlauf das Wettkampfprokoll zu schreiben. Sie wollen keine Hürde auslassen und nur knapp über 14 Sekunden brauchen. Das gelingt lupenrein. Die Bahn ist vom Morgenregen noch nass. Trotzdem läuft Andrea persönliche Bestzeit mit 14,28sec, Sarah ist nach 14,21sec im Ziel. Vier Hundertstel schneller als bei ihrem Titelgewinn vor zwei Jahren in Polen. Für beide ist das ein Auftakt nach Maß.

Lagger_Obetzhofer_Innenansichten-Do_Hasse

Bald darauf kommen die Hindernisläufer auf die Bahn. In zwei Heats werden die Finalisten für das Sonntagsfinale eruiert. Bei diesem Lauf ist nicht nur die Bahn feucht, auch der Wassergraben ist knietief nass. Im ersten Lauf rutscht ein Läufer vor einem Hindernis aus. Mamma mia! Er stürzt, was auch die nachfolgenden Läufer behindert. Gut, dass hier Stefan Schmid nicht dabei war. Er startet im zweiten Lauf. Karin Haußecker, die Stefan seit sieben Jahren trainiert, hat die Entrylist gut studiert und ist für den Einzug ins Finale durchaus hoffnungsfroh.

Nach dem Start ergeben sich bald zwei Gruppen. Vorneweg wird eine Sechser-Gruppe von zwei Afrikanern unbestimmten Alters angeführt. Die zweite Zuggarnitur ist auch keine Relaxo-Fraktion. Sie wird von Stefan über die Stadionrunden gezogen. Niemand nimmt ihm die Führungsarbeit ab. So kann er aber auch gut sein getaktetes Tempo laufen. Karin analysiert die Zwischenzeiten und steuert von außen durch Zurufe das Tempo. Bis zur Schlussrunde. Dann kommt Unruhe in die Zuggarnitur. Der Tscheche Foller überholt Stefan und verschärft das Tempo. Das ist Schmid nur recht. Er weiß um seine Endspurtqualitäten. Jetzt gilt es, die Zeitregel für das Weiterkommen zu nützen. Stefan zündet auf den letzten 100 m die Rakete und wird Siebenter. Der Platz ist das Andere, die Zeit das Eine: 9:01min bedeuten den souveränen Aufstieg ins Finale. Welch tolle Leistung! Welch kluger Lauf von Stefan! Meine Freude darüber kommt direkt aus dem limbischen System.

Vor dem Stadion werde ich auf Deutsch angesprochen. Der Schriftzug AUSTRIA auf meinem Anorak ermutigt einen älteren Finnen, mich anzusprechen. Er schwärmt von Österreich und kennt Johann Strauß, Franz Klammer und Marcel Hirscher. In umgekehrter Reihenfolge. Vom russischen Präsidenten hält er gar nichts, sagt er dann ungefragt. Von 1894 bis 1917 wurde Finnland von Russland beherrscht. Voriges Jahr feierte man daher 100 Jahre Unabhängigkeit.

Für Sarah Lagger und Andrea Obetzhofer begann einstweilen der Hochsprung. Auf der Tribüne verfolgen Sarahs Eltern, Schwester und Bruder den Bewerb. Sie sind extra aus Brodbrenten angereist. Nein, das liegt nicht in Jakutsien, sondern in Kärnten. Wie man von dort ins obere Skandinavien kommt, ist mir rätselhaft. Papa Lagger ist ein Fan seiner Tochter und lässt mich an den Erkenntnissen der Jugendpsychologie zweifeln. Er meint, dass Sarah in allen Entwicklungsphase eine angenehme Tochter war. Wahrscheinlich kommen die friedlichen Gene von der Mama.

Der Hochsprung verläuft unaufgeregt und ohne Sodbrennen. Die Leistungen liegen im Erwartungshorizont. Andrea steigt bei 1,56 m ein und nach gesprungenen 1,68 m aus. Sarah schafft 1,77 m. Alles im grünen Bereich. Nach zwei Bewerben liegen unsere Mehrkampf-Queens auf den Plätzen 8 und 15.

Am Nachmittag ist es warm in Tampere. Die Stadt ist zwischen den Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi eingezwickt. Dazu gibt es innerhalb der Gemeindegrenze noch etwa 200 kleine Seen. Sie bestimmen die Mikro-Meteorologie der Stadt und erlauben im Juli textilarmes Flanieren. Im Stadion ist gute Stimmung, und Bob Marley reggaet aus dem Lautsprecher.

Das Kugelstoßen der Siebenkämpferinnen startet um 18 Uhr. Das Ziel für Sarah Lagger und Andrea Obetzhofer ist, ihren persönlichen Weiten-Horizont zu erweitern. Andrea hat schon eine 14er-Weite stehen, Sarah eine 13er. Sarah explodiert schon im ersten Versuch und stößt 14,38 m. Unglaublich. Das ist Bestleistung bei einer U20-Siebenkampf-WM!!! Damit nimmt die Kärntnerin auf einem Medaillenrang Platz. Andrea kommt nicht richtig in die Spur, verpatzt aber auch nichts. Sie kommt auf 13,54 m und rückt ebenfalls in die Top Ten auf. Ich brauche jetzt ein bewusstseinserweiterndes Getränk ein.
Auch die Geschichte des 200-m-Laufes ist schnell erzählt. Es ist eine Bilder- und Kinderbuchgeschichte. Schön anzuschauen und mit einem happy ending. Nicht der Weg ist das Ziel, sondern eine gute Zeit. Andrea bleibt auf ihrem Höhenflug auf waagrechter Linie. Sie läuft 25,04 sec, womit sie nicht zufrieden ist. Sarah ist in ihrem Lauf konkurrenzlos und gewinnt mit 24,86 sec.

Damit besetzen unsere Girls im Halbzeitprotokoll die Ränge 3 und 9, und Stefan ist auch heute zu den Weltbesten aufgestiegen Ich freue mich und mir ist ziemlich wurscht, dass unsere Teamleiterin Elisabeth Eberl von mir nicht umarmt werden will. Sie hat mir schon gestern sehr geholfen und führt die Mannschaft gut durch die Logistik dieser Weltmeisterschaften.

Morgen werden Isabel Posch im Hürdenlauf und die Mädchenstaffel die Aura des Stadions bereichern. Um 19 Uhr Ortszeit wird auch der Siebenkampf entschieden sein. Das wird selbst für genussbefreite Menschen ein Highlight werden. Bleiben Sie dran.

Text: Herbert Winkler
Fotos: Hasse Sjögren

16/07/18 08:33, Text: Bernhard Rauch


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