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U20-WM: Innenansichten aus Tampere - Freitag

(C) Hasse Sjögren

Die Nächte in Tampere sind kurz. Das hat nichts mit überzogenen Lokalbesuchen zu tun. Die freudvollen Getränke sind hier nicht taschengeldtauglich. Manche sind wie flüssiges Gold ausgepreist. Nein, die Nächte sind kurz, da das Sonnenlicht nicht abgedreht, sondern nur gedimmt wird. Man kann um Mitternacht im Freien gut lesen und im Bett schlecht schlafen.

Dr. Alfred Ungersböck und Lukas Reiter betreuen schon seit Montag unsere Sportler medizinisch, physiologisch und überhaupt. Sollte sich auf der Wettkampfbühne eine medizinische Tragödie ereignen, sind sie zur Stelle. Sie arbeiten in einem Physio-Zelt neben einer Aufwärmlaufbahn. Es geht dort zu wie auf einem Gemüsemarkt in Wien. Es sind alle Ethnien vertreten, und es herrscht reges Treiben.

Um 9.30 Uhr kommen die ersten Hürdenläuferinnen aus dem Callroom. Es sind die Vorläufe über die 100 m Hürden auf dem Programm. Isabel Posch ist im vierten Lauf dran. Sie ist U23-Meisterin über 100 m und wird auch in der 4 x 100m-Staffel laufen. Ihre Laufkolleginnen bietet weltumspannende Völkerkunde. Von Kanada bis Indien. Man merkt Isabel die Nervosität an. Es sind ihre ersten Weltmeisterschaften. Ihr Lauf ist flüssig, aber 14,33 sec sind dann keine Quelle, um weiterzukommen. Ich glaube, ein Start im Siebenkampf wäre ihr lieber gewesen.

Innenansichtern-Tampere-Freitag

Dann kommen wieder unsere Breitband-Athletinnen Sarah Lagger und Andrea Obetzhofer ins Stadion. Diesmal gilt es, möglichst weit zu springen. Ein Weitsprungwettkampf kann selbst einen Menschen mit niedrigem Blutdruck ein sprudelndes Erlebnis bieten. Jeder Übertretungsfehler bringt eine stressige Schieflage. Und Andrea sieht schon beim ersten Sprung die rote Fahne. Bettina Wildauer, eine sehr empathische Trainerin, spricht lange mit ihr. Darauf kommt eine gültige Weite mit 5,45 m. Beim dritten Sprung gibt es auch keinen Ermessensspielraum. Er wird ungültig gegeben. Damit rutscht Andrea auf den 11. Gesamtrang ab.

Sarah Lagger macht es nicht so spannend. Nach 5,90 m und 5,99 m ist Georg Werthner nicht nervös, obwohl er einen 6-m-Sprung erwartet. Er ist – wie man so sagt – ein alter Hase. Ein halbstündiges Gespräch mit ihm erspart einem ein Hochschulsemester in Sportwissenschaften. Als Einschub sei angemerkt, dass Georg eine kuriose Weltbestleistung hält. Er hat bis jetzt über 3.300 Wettkampfbewerbe bestritten. Er ist als Aktiver wie auch als Trainer Weltklasse. Nein, der Vergleich mit Ernst Happel geht gar nicht. Dieser war auch ein toller Spieler und Trainer. Georg ist aber kein Ketten-, sondern Nichtraucher. 

Sarah springt im dritten Versuch 6,15 m. Das bringt Big Points. Jetzt sind die Chancen für einen Spitzenrang im Gesamtklassement noch mehr gestiegen. Sagen wir es so: Man braucht kein Schutzpatron der Ahnungslosen zu sein, um nicht jetzt schon an eine Medaille für Sarah zu glauben. Derzeit liegt sie auf dem Bronze-Rang.

Zu Mittag ist es im Stadion angenehm temperiert. Aber das Wetter hat einen zyklischen Charakter. Wie manche Menschen auch. Die allgegenwärtigen Wolken lassen manchmal die Sonne durchgucken, dann wieder entladen sie einen Prasselregen auf die Stadt. Das dauert aber nie sehr lange. Am Beginn des Speerwerfens der Siebenkämpferinnen ist es wolkig, und der Wind kommt von vorne.

Für Andrea und Sarah geht es nun schon in die Zielgerade. Nochmals wird die Grobmotorik gefordert. Obetzhofer sticht gleich den Speerwurf bei zwei Zentimeter unter 40 Meter ein. Da kommt sicher noch etwas nach.

Lagger beginnt mit einem Wurf über 45,71 m und setzt dann im zweiten noch fünf Zentimeter drauf. Der Jubelschrei auf den Rängen macht ohrenscheinlich, dass jetzt die Katze aus dem Sack ist. Wer soll Sarah jetzt noch einen Podestplatz streitig machen? Auch Andrea zieht im dritten Versuch kräftig durch und wirft sehr gute 42,41 m. Damit bringt sie die Summen-Liste ins Rutschen. Christian Heiss, ihr Trainer, hat gestern eine Platzierung unter die ersten Zehn als möglich geschätzt. Vielleicht geht sich das aus.

Am Nachmittag ist wieder Tanzstimmung im Stadion. Wieder wird Bob Marley aufgeboten. Die Kurvenränge sind ziemlich voll. Es hat 26 Grad, und der Regen hat sich noch nicht entschieden, ob er stören soll.

Jetzt aber kommen die Kurzstaffeln. Österreich ist auch mit einem Quartett vertreten. Lena Pressler, Isabel Posch, Magdalena Lindner und Chiara Schuler starten über die 4 x 100 m. Sven Benning hat die Speed-Girls oftmals Staffelübergaben trainieren lassen und sitzt genauso gespannt im Stadion wie alle anderen vom Team. Ein Aufsteigen in den morgigen Endlauf ist nicht zu erwarten. Doch die Studien der Entrylists sind ähnlich verbindlich wie die Weisheiten eines Bauernkalenders. Und so kommt es auch. Die Staffeln von den USA, China und Jamaika werden disqualifiziert. Bei unserem Kleeblatt klappen zwar nicht alle Übergaben perfekt, aber die Zeit und der elfte Platz können sich sehen lassen. Ich bin stolz auf die Mädels.

Um 19 Uhr dann der Hammer. Der letzte Bewerb des Siebenkampfes ist der 800-m-Lauf. Hier geht es für Sarah Lagger um Gold oder Silber. Die Entscheidung wird zwischen ihr und Niahm Emerson aus Großbritannien fallen. Dabei geht es nicht um Meter, sondern möglicherweise entscheiden am Ende Zentimeter. Für Andrea Obetzhofer geht es um den Eintritt in den Zirkel der Weltklasse. Für beide wird es ein Lauf zwischen Gedulds- und Zerreißprobe werden. Auch als Zuschauer darf man kein Lauwasserkocher sein und muss Spannung ertragen können. Ein positives EKG ist sicher nützlich.

Andrea ist im zweiten Lauf und beginnt mutig. Sie läuft die erste Runde auf dem gut abgesicherten zweiten Platz. Die US-Amerikanerin Anna Hall zieht vorne davon. Dann kommen die hinteren Sechs angelaufen. Nach 500 m überholen sie Andrea. Sie wirkt bereits müde. Jetzt wird das Ziel zum Sehnsuchtsort. Andrea kämpft und rettet 2:29 min ins Ziel.
Vor dem Lauf von Sarah beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Der Lauf wird zum Krimi. Sarah hängt sich gleich an ihre Medaillenkonkurrentin Niamh Emerson an und läuft vier Meter hinter ihr. Nach 500 m beginnt Sarah zu attackieren. Ich würde gerne eine Solarzelle sein, die Sarah von der Medientribüne mit Energie versorgt. Aber die Britin hat genug Kraft, um den Angriff abzuwehren und bringt den Sieg souverän ins Ziel. Sie ist ein würdiger Champion. Sarah läuft mit 2:11min eine persönliche Bestzeiten. Ganz, ganz großartig. Besser geht’s nicht.

Das genaue Ergebnis findet sich auf der Homepage des ÖLV. Aber so viel sei gesagt: Sowohl Andrea wie Sarah sind unsere Heroes of the day. Andrea Obetzhofer hat sich in die Liste der zwölf weltbesten U20-Siebenkämpferinnen eingeschrieben. Sarah Lagger hat zum fünften Mal Edelmetall gewonnen. Diesmal zur Abwechslung wieder einmal Silber. Sie ist wahrlich eine Immergrün-Athletin. Den nationalen U20-Rekord hat sie sowieso verbessert. Eine Überdrüber-Leistung. Was soll man da noch schreiben?

Ich brauche jetzt ein … dings. Damit stoße ich auf alle Athletinnen und deren Trainer an. Kippis.

Text: Herbert Winkler
Fotos: Elisabeth Eberl / Hasse Sjögren

16/07/18 08:46, Text: Bernhard Rauch

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