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Innenansichten aus Lima – Mittwoch

(C) ÖLV

Auch heute ist die Sonne über Lima beleidigt. Sie bleibt trotzig hinter den Wolken versteckt. Der Himmel ist nicht azzurro, sondern bleigrau. Heute ist im Stadion zwar keine Tanzstimmung, aber viel Buntheit. Schulklassen mit traditionellen Bekleidungen beleben die Szene.  Mein Nachbar im Medienbereich ist ein Kollege aus Peru. Er schreibt wenig, schaut aber viel auf die Fernseher, auf denen die Ereignisse im Stadion übertragen werden. Englisch spricht er nicht, dafür Quechua, eine der drei Amtssprachen in Peru. Varianten dieser Sprache gab es bereits in der Kultur der Inka. Quechua kennt kein grammatisches Geschlecht und hat nur drei Vokale: a, i und u. Über die Körpersprache entziffere ich, dass eins „huq“ heißt und zehn „chunka“. Damit komme ich beim Bierbestellen gut zurecht.

Unser erstes Highlight ist für High Noon angesetzt. Alessandro Greco wird im 7. Vorlauf im 400-m-Lauf starten. 63 Starter gibt es, die drei Ersten jedes Laufes steigen auf jeden Fall auf. Qualifikationen sind immer geschlossene Veranstaltung mit offenem Ausgang, denn die aktuellen Entry Lists sind ähnlich verbindlich wie die Weisheiten eines Bauernkalenders.

Das Weiterkommen ist für Alessandro nicht aussichtslos, denn von seinen Kollegen in seinem Heat haben nur zwei eine bessere Zeit. Man wird sehen, ob ihm im Rahmen seiner Bestzeit von 46,92 Sekunden ein Kracher gelingt.

400-m-Läufer sind besondere Athleten. Sie haben keine direkte Standleitung ins Vergnügen. Die letzten 60 m fehlt es den Lang-Sprintern an allem, vor allem an Sauerstoff. 400 m voll durchzulaufen ist eine biologische Sonderleistung und nichts für Feiglinge. Alessandro ist mit der Stadionrunde gut vertraut. Der DSG-Wien-Athlet hat sich im Lauf der Jahre kontinuierlich gesteigert. Waren es 2021 noch 50,12 Sekunden, so blieb er 2022 unter 50 und 2023 unter 49 Sekunden. Im Juni des heurigen Jahres blieb die Zeit bei 46,92 Sekunden stehen. Sein bisher bestes Resultat.

Alessandro hat Bahn acht, kommt gut vom Start weg und hat keine Gegner vor sich, da Bahn neun nicht besetzt ist. Nach 180 m ist die erste Kurvenvorgabe aufgearbeitet und zwei Läufer schließen zu ihm auf. Innen macht der Japaner mächtig Druck. Dann ist auch die zweite Kurvenvorgabe verbraucht und Alessandro ist nicht im Vorderfeld. Nach 300 m beginnen alle mit dem Endspurt. Alessandro fightet mit und nützt das letzte Echo seiner Kraft. Der dritte Platz ist aber zu weit weg. Im Ziel ist er Fünfter und greift sich enttäuscht an den Kopf. Mit 47,68 s bleibt er 0,44 s vom Qualifikationsplatz entfernt. Vollkommen ausgepowert kommt er in die Mixed Zone, sitzt lange am Boden und ringt nach Worten. Nicht nur körperlich, auch psychisch geht es ihm nicht gut.
„Ich habe mich vor dem Rennen gut gefühlt, und zu meinem Lauf kann ich auch nichts Negatives sagen. Ich weiß wirklich nicht, warum es nicht besser lief. Ich habe keine Erklärung und bin sehr enttäuscht.“

Am Abend ist Maria Glaser für den 1.500-m-Lauf im Stadion. Sie hat die Berechtigung zur Teilnahme am letzten Drücker vorgelegt und ist die erste U20-Athletin aus dem Burgenland, die an einer Weltmeisterschaft teilnimmt.
Marie trainiert in Eisenstadt bei Rolf Meixner und Ronja Leitner. Rolf beschreibt sie als fleißig, ehrlich und frech. Heuer hat sie mit 4:56,66 min einen österreichischen U20-Rekord über die Meile aufgestellt. 4:27,46 min ist ihre Bestzeit über 1.500 m. Vor vier Jahren waren es noch 4:54 min. In der Leichtathletik-Akademie Eisenstadt wurde gute Arbeit geleistet.

„Ich bin keine Endspurtläuferin, sondern halte lieber im Lauf das Tempo hoch. Ich werde schauen, wie ich das Tempo dosiere.“ Vielleicht ist es mutig, was Meixner mit frech gemeint hat.
Nach dem Startschuss macht Marie das, was sie sich versprochen hat. Sie bleibt kräftesparend als Schlusslicht auf Tuchfühlung mit dem Feld. Niemand in der Gruppe ist weit vorne oder hinten. Alle bleiben wie gute Freundinnen in einem Pulk zusammen. Noch vor der letzten Runde ist es mit der Freundschaft aus und das Rennen wird schneller. Marie kann nicht mithalten und lässt abreißen. Sie ist die Vorletzte des Feldes und will das nicht bleiben. Auf der Schlussgeraden forciert sie noch einmal und überholt eine weitere Läuferin. Am Ende stehen 4:32,99 min auf der Uhr. Damit belegt sie den 34. Platz bei einer Weltmeisterschaft.
„Ich habe schon seit Tagen eine Disbalance im Verdauungsbereich. Die hat mich auch beim Lauf begleitet. Daher bin ich mit dem Lauf zufrieden, mit der Zeit aber nicht. Dass ich zwei Läuferinnen hinter mir lassen konnte, freut mich. Und dass ich bei Weltmeisterschaften teilgenommen habe, freut mich besonders.“

Dazu fällt mir auch nach langem Tüfteln kein Abschlusssatz ein. Morgen ist Großkampftag der Hürdenliebhaber. Dazu gibt es noch den Leckerbissen des Stabhochsprungfinales mit Magdalena Rauter. Ich werde heute nur Grünen Tee trinken und vielleicht auch einen Baum umarmen. Damit ich morgen fit bin.
Ich hoffe, es werden uns wieder viele Anhänger der gehobenen Leichtathletik begleiten.

Text: Herbert Winkler

29/08/24 03:10, Text: Bernhard Rauch

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