Die Sonne spielt heute versteckerl, und graue Wolken kommen im Galopp daher. Aber nur bis Mittag. Dann brütet die Sonne wieder nahe der Körpertemperatur. Die gestrige abendliche Besprechung einiger Funktionäre und Trainer lässt vermuten, dass eine verheerende Dürre im Anmarsch ist. Das bezeugten die Flaschen und Gläser auf den Tischen.
Heute wird es spannend. Und außerdem arschknapp. Derzeit ist Österreich punktemäßig nur dreieinhalb Schritte vom Verbleibplatz entfernt. Wenn man mich fragt, eigentlich auch, wenn man mich nicht fragt, sage ich allen, dass Österreich sich nicht aus der Liga verabschieden wird. So leicht lassen wir uns nicht hinausbeserln. Immerhin zünden wir heute noch ein paar Kracher. Ich sage nur Lukas, Beate, Philipp, Luca und die Wiederholungstäter Markus, Julia, Alexandra und Andi.
Als Beate Schrott in den Hürdenwald vor sich schaut, haben Marco Cozzoli und Sebastian Ender bereits sechs Punkte beim Hammerwerfen und fünf beim Stabhochsprung eingefahren. Nach 23 Bewerben werden wir downgegradet. Wir liegen auf dem 9. Rang von 12. Mir kommen die Hoffnungsgedanken aus dem Gleichgewicht. Gut, dass jetzt die Hürden für den Frauenlauf aufgestellt werden.
Im ersten Heat wird die zypriotische, dann auch noch die israelische Hindernisläuferin disqualifiziert. Keine Punkte für unsere unmittelbaren Konkurrenten. Obwohl das nützlich ist, ist Schadenfreude nicht angebracht. Beate startet im zweiten Lauf. Sie ist ein Evergreen und eine Weltklasseathletin. Beate lässt an ihrer Favoritenrolle keinen Zweifel und fetzt in 13,36sec über die 10 Hürden. Ein sicherer Sieg, der das Punktemaximum bringt und für unseren Kontostand wie eine Hebebühne wirkt.
Das himmlische Flutlicht strahlt einstweilen barrierefrei vom Himmel. Es wird heiß im Stadion. Auch im Diskuskreis.
Lukas Weißhaidinger betreibt Diskuswerfen als Ganztagsjob. Er kennt sich mit weiten Würfen und dem newtonschen Gravitationsgesetz aus. Schon beim ersten Wurf überlistet er die Erdanziehung und lässt die Scheibe erst nach 63,22 m auf den Boden. Dann kommen noch 63,99 m nach. Das genügt. Zwölf Punkte für uns.
Kronsteiner Philipp hat bereits mehrere Espressi getrunken. Er ist im Dreisprung immer für Freuden und Übertretungsleid zu haben. Bald sammeln sich an der Reling des Zuschauerrandes die Fans und machen einen dezibelstarken Wirbel. Philipps Serie ist 15,92 m – 16,04 m. Das bringt den 5. Rang und 8 Punkte.
Neben mir in der Pressebude sitzt der Kollege aus Israel. Sein Smalltalk perlt wie Sodawasser, und er zittert auch, ob Israel durch die null Punkte beim Hürdenlauf in- oder außerhalb der Liga-Drehtür landen wird.
Nach 28 Disziplinen sind wir in der Nationenwertung auf dem 9. Rang. Die Hoffnung schwindet. Das ist der Moment, wo Süchtige Hilfe bei der Zigarette oder Gläubige beim Stoßgebet suchen. Beides liegt mir nicht. Ich verlasse mich jetzt ganz auf Luca Sinn. 3000m Hindernis sind angesagt. Es wird ein unaufgeregtes Rennen, in dem bald der bulgarische und der estische Läufer vorne weg gehen. Luca verbrüdert sich mit dem Kroaten, der ihm dann aber zu langsam wird. Luca belegt den sehr guten dritten Rang und ist zufrieden. Ich auch.
Nach 32 Bewerben sind wir an achter Stelle, aber 10 Punkte hinter dem 7. Platz. Jetzt schwinden die letzten Moleküle der Hoffnung. Ich brauche jetzt ein Bier. Oder zwei. Dann geht es Schlag auf Schlag. Alexandra Toth gewinnt den B-Lauf über 200 m mit einem und Markus Fuchs seinen A-Lauf mit zwei Meter Vorsprung. Acht und 12 Punkte. Das zaubert einen Schauer an Glückseligkeit in die Gesamttabelle. Jetzt sind nur mehr die Israeli vor uns.
Mayer Julia widmet sich heute ihrem zweiten Bildungsweg, dem 5.000-Meter-Lauf. Schon im ersten Drittel des Rennens zeigt sie, dass sie gut regeneriert ist. Im zweiten Drittel ist sie in einer Sechsergruppe gut aufgehoben. Vorne läuft eine Israelin.. Die Schlussrunde beschert mir eine Gänsehaut, und nicht nur mir. Julia zeigt, dass mit Niveau keine Hautcreme gemeint ist. Sie geht klugerweise nicht mit einer Davoneilenden mit, bleibt im Schritt und spurtet nach einem Wahnsinnskampf auf den dritten Platz. Ich falle vor Freude beinahe vom wackeligen Sessel. O Lord! Wo sind auf meinem Computer die Emojis.
Auch der Lauf von Andi Vojta über dreitausend Meter hat nicht die Gemütlichkeit einer Heizdeckenfahrt. Es geht bald hurtig zur Sache. Zwei Läufer setzen sich ab. Andi führt die Nachfolger an. Der Schlusssprint ist borderlinig. Andi gibt vorerst nach, setzt dann aber nochmals seine restlichen Körner ein und spurtet den Israeli nieder. Es wirkt wie ein Flashback von gestern. Die eroberten acht Punkte pölzen nochmals die Punkteliste.
Von sämtlichen Bewerben kommen tolle Resultate. Mir kommen längst die Zahlen, Daten und Punkte durcheinander. Sicher ist nur, dass wir immer näher an die Israelis und den rettende siebenten Platz rücken. Hallo, was ist da los im Moos?
Die Staffeln entscheiden endgültig über Hopp oder Dropp. Und schon geht es los. Die 4 x 400m-Staffel der Mädels läuft ein fulminantes Renen und gewinnt den B-Lauf. Sie führen von Beginn an und bauen den Vorsprung immer mehr auf. Israel bleibt zwei Plätze hinter uns. Nur noch ein Superlauf der Männerstaffel und wir sind durch. Ich brauche jetzt einen Betablocker und habe mir schon sieben Nägel abgebissen.
Die Burschen in der 4 x 400m-Staffel laufen die Israels in Grund und Boden und gewinnen mit großem Vorsprung. Das ist ein Wahnsinn. Der Blick auf die Tabelle zeigt, dass es Österreich geschafft hat.
Dann kommt noch Aufregung wegen einer Disqualifikation auf. Sind denn jetzt alle verrückt worden? Man könnte sich die Augen rot und nass weinen. Unglaublich. War die Aufholjagd umsonst? Die Jury prüft, kontrolliert und sichtet die Videos der Staffelübergaben. Proteste und Gegenproteste lösen sich ab.
Dann die Entscheidung. Es geht alles zugunsten unserer Mannschaft aus. Warum weiß ich nicht, denn ich bin längst durch den Wind.
Am Ende des Tageslichts ist klar, dass unser Team das Unmögliche möglich gemacht hat. Ein Weltumarmungsgefühl macht sich breit. Wir kämpfen nächstes Jahr wieder in der zweiten Liga mit. Halleluja!
Text: Herbert Winkler