Im Kosovo, einer ehemaligen autonomen Provinz im Vielvölkerstaat Jugoslawien, leben heute rund 1,6 Mio. Einwohner:innen, rund 92 Prozent sind ethnische Albanier:innen. Diese Zusammensetzung der Bevölkerung führte am Ende des letzten Jahrtausends zu Abspaltungstendenzen, die letztlich im Kosovo-Krieg in den Jahren 1998/1999 mündeten und auch zu NATO-Bombardements in Serbien führten. Der damalige US-Präsident Bill Clinton spielte zu dieser Zeit eine maßgebliche Rolle und daher werden die US-Amerikaner, speziell er, noch heute im Kosovo vereehrt.
Kosovo seit 2008 ein unabhängiger Staat, seit 2015 European-Athletics-Mitglied
Nach UNO-Resolutionen und dem Einsatz von UNO-Friedenstruppen (KFOR) mit österreichischer Beteiligung, der bis heute andauert, da es immer wieder zu Spannungen zwischen den Kosovaren und der serbischen Minderheit kommt, erklärte das kosovarische Parlament am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Landes von Serbien. Bis heute haben 117 von 198 UNO-Mitgliedsländer den Kosovo als souveränen Staat anerkannt. Österreich zählte zehn Tage nach der Unabhängigkeitserklärung zu den ersten, Kenia (26.3.2025) und Sudan (12.4.2025) waren die bisher letzten. Interessant ist, dass auch nur 22 von 27 EU-Mitgliedsländern den Kosovo anerkennen. Bis heute verweigern Griechenland, Spanien, Slowakei, Rumänien und Zypern diesen Schritt.
Diese Zerissenheit der einzelnen Staaten ist auch in der Leichtathletik spürbar. So dürfen noch heute bei Balkan-Meisterschaften in Serbien keine Flaggen des Kosovo aufgezogen bzw. Fotos mit kosovarischen Athlet:innen publiziert werden. Das schränkte immer wieder die ÖLV-Berichterstattung über solche Wettkämpfe ein, da nur vorher zensurierte Fotos ins Ausland weitergegeben wurden. Seit dem 16. Oktober 2015 ist der Kosovo das 51. und damit jüngste Mitglied von European Athletics und somit in der Leichtathletik voll integriert. Auch damals gab es Gegenstimmen, zu allererst von Serbien.
Das Olympia-Dilemma des U20-Europameisters von 2021
Der beste Athlet des Kosovos ist Kugelstoßer Muhamet Ramadani, der aktuell den Nationalen Rekord mit 19,54 (2024) hält. Der EYOF-Sieger von 2019 sorgte bei der U20-EM in Tallinn (EST) im Jahr 2021 für die erste Goldmedaille seines Landes, damals wuchtete er die 6-kg-Kugel auf stattliche 19,92 m. Zwei Jahre später sorgte er mit einer Weite von 19,20 m bei der U23-EM in Espoo (FIN) und Platz 3 neuerlich für Edelmetall.
Trotz dieser Spitzenresultate blieb ihm eine Teilnahme bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 verwehrt. Da kein einziger Athlet und auch keine Athletin eine direkte Norm für Paris erreichte. Da allen kosovarischen Athlet:innen eine Qualifikation über das World Ranking verwehrt blieb, musste auf den "Universality Place" zurückgegriffen werden. Damit sichert World Athletics, dass zu mindestens ein Athlet oder eine Athletin jedes Landes teilnehmen darf. Allerdings dürfen nur ausgewählte Bewerbe beschickt werden, der Kugelstoß der Männer ist hier nicht darunter. So kam Läuferin Gesa Bakraqi zu olympischen Ehren. Die 29-Jährige ist vielfache kosovarische Rekordhalterin von 800 m bis zum Halbmarathon. Im Stade de France war sie im letzten Jahr im 800-m-Vorlauf und -Hoffnungslauf mit dabei. Mit ihrer persönlichen Bestleistung von 2:07,67 min stand der olympische Gedanke für die "Königin der kosovarischen Leichtathletik" - wie sie von einem Online-Magazin 2022 genannt wurde - im Vordergrund.
Großes Engagement, teilweise Top-Equipment, aber vieles in den "Kinderschuhen"
Beim ERASMUS-Plus-Arbeitsmeeting führten Fatlum Grajcevic und sein Sohn Art Grajcevic gekonnt durch das Programm. Sie sorgten für interessante Präsentationen über das Nachhaltigkeitskonzept des Pristina Marathons und sprachen über ihre Gedanken zum Thema "e-Volunteer". Der Workshop am Samstag-Nachmittag mit zahlreichen Athlet:innen und Trainer:innen aus den elf aktiven Mitgliedsvereinen gelang sehr gut und brachte interessante Ergebnisse, die in die Ausarbeitung des Online-Moduls "e-Volunteer" einfließen werden.
Fatlum Grajcevic, ein Mitarbeiter des kosovarischen Sportministeriums, ist Trainer und Motor im Wettkampfgeschehen der Kosovo Athletics Federation (FAK). Er ist hochengagiert, technik- und EDV-affin. Mit dem Fotofinishsystem OPTIc3 der österreichischen Firma ALGE-Timing ist Top-Equipment im Einsatz. Ausschreibungen und Ergebnisse - alle in Excel-Form - werden allerdings nur über die Facebook-Seite des Verbands veröffentlicht (inkl. Videos). Die offizielle FAK-Website ist im Jahr 2020 steckengeblieben und wird nicht mehr gepflegt. Vergeblich sucht man auch Global-Calendar-Veranstaltungen aus dem Kosovo, denn selbst die Nationalen Meisterschaften werden dort nicht angemeldet.
Langzeit-Präsident und Team-EM-Teilnahme in Maribor
Der Leichtathletik-Verband Kosovos ist im Haus des Sports in Pristina angesiedelt, wo sich mehr als 30 Verbände die Räumlichkeiten teilen. Seit der Verbandsgründung im Jahr 1991, also seit mehr als drei Jahrzehnten, bekleidet Halil Sylejmani, der heuer 74 Jahre alt wird und leider kein Wort Englisch spricht, das Amt des Präsidenten im Leichtathletik-Verband. Sein Generalsekretär Abdurrahman Shkodra ist ebenso sprachlich eingeschränkt. Umso bedeutsamer ist die Rolle von Fatlum Grajcevic, der perfekt Englisch spricht, für die internationale Zusammenarbeit und bei internationalen Wettkampfteilnahmen, wie zuletzt bei der Straßenlauf-EM in Brüssel-Leuven. Ende Juni wird der Kosovo mit einem eigenen Team bei der Team-EM (3. Division) in Maribor (SLO) antreten. Die über 1.000 km lange Anreise wird mit dem Reisebus erfolgen.
Die beiden Fotofinish-Zeitnehmer Fatlum Grajcevic (KOS) und Thomas Biederbeck (ÖLV) arbeiten beide mit ALGE-Systemen aus Vorarlberg (C) ÖLV
Das große Ziel "Pristina 2030"
Die meisten Leichtathletik-Wettkämpfe werden in Malishevë (Malisheva) ausgetragen, das Stadion Liman Gegaj verfügt über sechs 400-m-Rundbahnen. Allerdings können aufgrund der Fußball-Ersatzbänke nur fünf wirklich genutzt werden. Die Leichtathletik-Infrastruktur wird sich aber bis 2030 verbessern (müssen), denn dann wird Pristina die Mittelmeerspiele ausrichten, dies wurde bereits 2023 entschieden. Den kosovarischen Vertreter:innen war aber etwas Skepsis anzumerken, ob die notwenigen Infrastruktur-Investitionen für die 24 verschiedenen Sportarten und 5.000 Athlet:innen bis dahin tatsächlich realisiert werden können.
Allerdings präsentierte sich Pristina an diesem Wochenende als mehrfacher Event-Ausrichter. Im Jugend- und Sportpalast wurde ein hochrangiges internationales Tischtennis-Turnier (World Table Tennis Feeder Cup) ausgetragen, unweit davon in der Fußgängerzone der Innenstadt ein Basketball-Qualifikationsturnier, FIBA 3x3 Europe Cup Qualifier Kosovo 2025. Einen Steinwurf davon entfernt wurde am Samstag-Abend zum Public Viewing des Fußball-WM-Qualifikationsspiels Albanien gegen Serbien geladen. Für wen die Herzen der Kosovaren bei diesem brisanten Match schlugen, war unverkennbar.
„Capacity Building“-Projekte als "Entwicklungshilfe"
Das ERASMUS-Plus-Projekt „Working Together – Succeeding Better” hat sich zum Ziel gesetzt, den Austausch zwischen den Beteiligten Ländern zu fördern und gemeinsam e-Module zu entwickeln. Die in der Leichtathletik besser entwickelten Verbände aus Polen, Bulgarien und Österreich sollen dabei jenen aus Bosnien und Herzegowina, Albanien und Kosovo unter die Arme greifen und für einen Know-How-Transfer sorgen.
Nach der ersten Phase mit den sechs Arbeitstreffen, steht nun die Ausarbeitung der e-Module für die unterschiedlichen Zielgruppen (e-Referee, e-Athlete, e-Coach, e-Volunteer und e-Administrator) auf dem Programm. Eine Veröffentlichung ist erst 2026 zu erwarten.