EM hinter den Kulissen: Coaching

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Im Rahmen der EM in München wollen wir in einer mehrteiligen Serie auch einen Blick hinter die Kulissen eines Großereignisses werfen. Heute Teil 4: Das Coaching

Bei Wettkämpfen der Leichtathletik stehen sie selten im Scheinwerferlicht, aber sie sind wie in jeder Sportart die Planer und Schmiede jener Leistungen, die im Stadion abgeliefert werden. Das tägliche Training ist die Pflicht, der Wettkampf ist die Kür, die von einem Trainer dann wieder ganz andere Fähigkeiten verlangt, der Trainer wird zum Coach. Hier muss er Motivator, Tröster, Psychologe, Freund, Troubleshooter, Leidensgenosse, Klagemauer, Jubelpartner und noch vieles mehr sein. In München begleiten wir drei Betreuer, je einen aus dem Bereich Sprung, Wurf und Lauf, um auch hier die unterschiedlichen Aspekte des Wettkampf-Coachings in den Disziplinengruppen aufzeigen zu können. 

Thomas Neuhauser ist ein Quereinsteiger im Trainer-Business. Als sein talentierter Sohn Riccardo Klotz, der 2015 gerade beim EYOF Bronze im Stabhochsprung geholt hatte, plötzlich ohne Trainer dastand, musste der Papa einspringen, damit der Junior seinen Sport fortsetzen konnte. Der Autodidakt, der hauptberuflich als Leiter des Konditoren-Bereiches einer großen Hotel-Gruppe in Seefeld tätig ist, zwackt sich jede freie Minute für den Sport und im Speziellen den Stabhochsprung ab. Fortbildungen bei internationalen Seminaren und Praktika bei erfolgreichen Trainern anderer Nationen haben ihn und seinen Athleten jetzt zur EM gebracht. Erstmals gilt es also für die beiden auf großer Bühne vor vollen Tribünen zu bestehen, eine neue Herausforderung. 

“Wir fangen die Vorbereitung auf einen Wettkampf schon ein paar Tage vorher an, da machen wir keine Extrasachen mehr und nehmen alles ein wenig lockerer, bleiben aber unbedingt in der normalen Routine, nur dann geht er auch entspannt in den Bewerb. Ich versuche alles, was den Athleten beim Wettkampf stressen könnte und in meinem Einflussbereich liegt, von ihm fernzuhalten. Im Wettkampf konzentrieren wir uns immer auf ein, maximal zwei Dinge, die er besser machen könnte. Da gibt es auch keine tiefgehende Fehleranalyse, das würde ihn zu diesem Zeitpunkt nur durcheinanderbringen. 

Wir formulieren immer alles positiv, heben nie etwas Negatives hervor. Ich halte auch permanent Augenkontakt mit ihm, wenn er von mir etwas braucht bin ich also jederzeit für ihn verfügbar. Kurze und prägnante Anweisungen sind wichtig, die kann ein Athlet besser aufnehmen. Wenn es trotzdem einmal nicht so gut läuft, dann muss man halt alles, was so an Frust und Schimpfereien aus dem Athleten rauskommen, aufnehmen und aushalten, damit er es einfach loswerden kann.

Wenn man schon zu Beginn sieht, dass heute nicht der Tag des Athleten ist, ist es sehr schwer etwas zu finden, was ihn motiviert. Aber ich bin für Riccardo in den letzten Jahren auch vom Vater zum Trainer geworden, er vertraut mir im Coaching einfach viel mehr, gibt Verantwortung an mich ab und macht sich das Leben dadurch drinnen leichter, weil er an viele Dinge nicht mehr denken muss.”

Elisabeth Eberl war selbst erfolgreiche Speerwerferin, sie war vor nur 10 Jahren noch als Aktive bei den Olympischen Spielen in London am Start. Seit einigen Jahren betreut sie in der Südstadt neben viele anderen auch Victoria Hudson, die ihre Trainerin mit dem österreichischen Rekord mittlerweile überflügelt hat und nach WM 2019 und 2022 sowie Olympia 2021 jetzt erstmals bei einer EM am Start steht. Hier gelang auch der erhoffte Aufstieg in ein Finale erstmals, ein großer Erfolg für das Athletinnen/Trainer-Duo.

“Meine oberste Devise beim Coaching ist: weniger ist mehr. Ich beobachte die Athletin sehr viel, wie sie drauf ist, versuche zu spüren wie es ihr geht und reagiere dann darauf. Wenn sie nicht so wirklich da ist, dann habe ich einen aktivierenden Part. Bei größeren Wettkämpfen ist es eher umgekehrt, da geht es vor allem darum beruhigend einzuwirken. Oft verwende ich dann den Vergleich mit einer großen Prüfung und erkläre der Sportlerin, dass sie viel gelernt hat und jetzt dafür bereit ist, genauso wie durch das Training für den Wettkampf. 

Nicht jeder Athlet nimmt alles gleich auf oder reagiert gleich, jeder ist individuell und braucht etwas anderes. Wenn man sieht, der Wettkampf läuft nicht in die Richtung wie es geplant war, dann nehme ich nur ein technisches Detail her, auf das wir uns konzentrieren. Meist ein Detail, auf das auch im Training davor geachtet wurde, so kann sie es sich leichter in Erinnerung rufen und weiß, dass sie das kann. 

Eine wichtiger Punkt, den ich sehr früh in meiner Coaching-Laufbahn gelernt habe war, wenns gut läuft nicht mehr einzugreifen und die Athletin in dem, was sie gerade macht, zu bestätigen. Ich freue mich und leide mit der Athletin genauso stark mit, wie ich es als Athletin selber erlebt habe. Es ist immer noch sehr emotional für mich, es berührt mich nicht weniger als es früher war. Das hat mich doch etwas am Coach sein überrascht.”

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Dietmar Millonig, 1980 Olympia-Sechster über 5.000m und 1986 Hallen-Europameister über 3.000m, betreut in München die Gruppe der Läufer. Keinen davon trainiert er, das Coaching vor Ort übernimmt er aber gerne. Über 50 Jahre Erfahrung haben eine große Schatzkiste an Wissen gefüllt und seine drei Schützlinge könnten unterschiedlicher nicht sein. Vom „alten Hasen“ Andreas Vojta (10.000m), dem keiner mehr etwas vormachen kann, über „EM-Rookie“ Julia Mayer (10.000m) zu seiner Tochter Lena Millonig (3.000m Hindernis), die nach einer erfolgreichen Karriere im Nachwuchsbereich jetzt nach mehreren schwierigen Jahren ein Comeback geschafft hat.

“Ich nehme zuerst einmal mit den Trainern Kontakt auf und sie sagen mir wo ich bzw. wo ich nicht eingreifen soll und was die Pläne sind. Ich bin dann ja für den Athleten die Bezugsperson beim Wettkampf, da muss ich mich bestmöglichst informieren. Ich analysiere auch die Gegner im Vorfeld, was sie so gelaufen sind und welche Stärken sie eventuell haben, auch um eine Relation zu unseren Läufern herstellen zu können. 

Beim Event setze ich mich dann mit den Sportlern zusammen und bespreche die Taktik durch, immer einen Plan A und einen Plan B. Es macht auch einen Unterschied, wie oft er schon dabei war. Der Andi hat z.B. ein hohes Maß an Erfahrung, dem klopft man auf die Schulter und sagt `du machst das`. Die Jungen sind natürlich etwas aufgeregter, da versucht man beruhigend einzuwirken und sie mit Sätzen wie `du hast gut trainiert, du bist in Form, die anderen kochen auch nur mit Wasser` zu motivieren. An der Form kannst du in diesem Moment nichts mehr ändern, es geht darum ihn/sie im Kopf zu erwischen und Selbstvertrauen zu geben.

Ich warte mit dem Nachbesprechen immer bis zum nächsten Tag, da hat man schon ein wenig Abstand und kann das besser analysieren. In einem Wettkampf geht es immer ein paar Läufern sehr gut, ein paar geht es gut, aber immer auch einigen sehr schlecht. Die die vorne sind, die sind sowieso happy, also ist mein Herz bei denen, die leiden. Bei meiner Tochter bin ich natürlich zehn Mal nervöser als sonst, aber ich habe in den letzten Jahren gelernt mich ein wenig zurückzunehmen.”

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Fotos: © ÖLV, GEPA Pictures

20/08/22 15:18, Text: Georg Franschitz

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