Die dreitägige Veranstaltung wurde von Laurent Meuwly gestartet, der derzeit Sprint-/Hürden-Cheftrainer des Niederländischen Leichtathletik-Verbands ist und auf über 30 Medaillen bei Großereignissen in den letzten Jahren verweisen kann. Seine Star-Athletin ist 400-m-Hallen-Weltrekordhalterin und Mixed-Staffel-Olympiasiegerin Femke Bol.
Meuwly sprach u.a. über sein Betreuungsteam, welches drei Assistenztrainer (1 Langsprint, 2 Kurzsprint) sowie zwei Physiotherapeuten umfasst, die beim Training mit dabei sind. Gemeinsam betreuen sie im niederländischen Olympiazentrum in Papendal 25 bis 30 Athlet:innen - darunter auch 4-5 aus dem Ausland. Seiner Ansicht nach ist die "Zentralisierung" und "Konzentration" in Verbänden sehr wichtig, weil das Know How und die Trainingsmöglichkeiten nicht an mehreren Orten gleichzeitig auf dem notwendigen Niveau angeboten werden können. Wichtig sind ihm auch 16 Wochen Trainingslager pro Jahr (vier Mal ein Monat).
Laurent Meuwly 24/7/365 für sein Team im Einsatz
Der 50-jährige Schweizer ging in seinem Einstiegsreferat auch auf seine Trainingsphilosophie, Trainingsprinzipien und Teamdynamik ein. Als Headcoach trifft er alle Entscheidungen in letzter Instanz, ist für sein Team rund um die Uhr an allen Tagen der Woche erreichbar und legt einen hohen Wert auf die eigene Präsenz auf der Laufbahn. Er leitet auch mindestens 80 Prozent der Aufwärm-Einheiten, weil er da bereits wichtige Eindrücke von seinen Athlet:innen erhält. Das Kraft- und Athletiktraining hat bei ihm einen hohen Stellenwert und sollte bereits im Jugendalter forciert werden. Die Belastungen bei Sprüngen sind im Vergleich zum Krafttraining ungemein höher, das Verletzungsrisiko ist ohne Krafttraining um ein Vielfaches größer.
Besonders abwechslungsreich verlief die anschließende Podiumsdiskussion, bei der Moderator Uwe Holli den beiden internationalen Stars, Laurent Meuwly und Jarek Skrzyszowski, verschiedene Fragen stellte.
"Coaching Partnerships" als europäisches Gegenmodell
"Polnische Trainer sagen, dass sie keine Chance gegen Sprinterinnen und Sprinter aus den USA und Jamaika hätten", sagte Skrzyszowski: "Aber Laurent hat bewiesen, dass es doch geht". Er hob "Coaching Partnerships" als mögliches Gegenrezept Europas gegen das US-System hervor. Er selbst lobte die Zusammenarbeit mit den Niederlanden und Laurent Meuwly, von der auch seine Tochter, Hürden-Europameisterin 2022 Pia Skrzyszowska stark profitiert.
Skrzyszowski führte auch aus, dass viele Trainer in seiner Heimat nicht andere Trainer um Rat fragen möchten, weil sie sich nicht eingestehen wollen, dass sie nicht alles wissen. Aber das ist seiner Meinung nach genau der falsche Ansatz, da der fachliche Austausch aus seiner Sicht immer befruchtend ist.
Durchaus kritisch sieht Meuwly das Collegesystem der USA für europäische Nachwuchsathlet:innen, denn die Wettkampfstruktur mit nur zwei Wochen Pause zwischen Hallen- und Freiluftsaison bietet keine optimale Vorbereitung auf die europäische Freiluftsaison. Die College-Saison endet Ende Mai bzw. Anfang Juni, daher gibt es keine Notwendigkeit einer längeren Vorbereitungszeit nach der Indoor-Saison. "Wenn du Englisch lernen und einen Bachelor-Abschluss möchtest, geh in die USA. Wenn du Olympiasieger werden möchtest, bleibt vielleicht besser in Europa", resümmierte er in zwei Sätzen seine Erfahrungen mit dem US-College-System.
Am Samstag-Vormittag ging Laurent Meuwly dann konkreter auf das Schnelligkeits- und Hürdentraining ein. Besonders wichtig ist es ihm, dass die Schrittfrequenz beim Langsprint immer hoch bleibt. Denn Analysen zeigen, dass durch die muskuläre Ermüdung die Frequenz sinkt und die Schritte länger werden. Dem versucht er mit seinem Training - u.a. Frequenztraining im ermüdeten Zustand - entgegenzuwirken. Wer Femke Bols Zielgerade in der 4x400-m-Mixedstaffel beim Lauf zu Gold in Paris vor Augen hat, als sie an den Gegnerinnen auf den letzten Metern förmlich vorbeiflog, konnte die perfekte Umsetzung Meuwlys Philosophie erkennen.
In der anschließenden Praxiseinheit begeisterte Meuwly die Teilnehmer:innen mit einer großen Übungsvielfalt. Niklas Strohmayer-Dangl, Andreas Wolf, Lena Pressler, Isabelle Engel und Johanna Plank dienten als Proband:innen und wurden unter seiner Anleitung durch die Trainingseinheit geführt. Interessant waren auch die Anweisungen und Korrekturen, die er den Athlet:innen während der Praxis gab. Kleine Details standen dabei im Fokus.
Jarek Skrzyszowski ging am Samstag-Nachmittag in seiner Theorieeinheit sehr detailliert auf die Hürdentechnik ein und zeigte zahlreiche Analysen (Bodenkontakt- bzw. Überquerungszeiten) seiner Tochter Pia - 2022-Europameisterin in München - im Vergleich zu anderen Top-Hürdensprinterinnen wie Nadine Visser (NED) oder Tobi Amusan (NIG). In der anschließenden Praxis-Einheit waren dann Sarah Daxböck, Anjali Perera, Isabelle Engel und Johanna Plank im Einsatz. Frequenz, Beschleunigung und koordinative Elemente standen im Mittelpunkt.
Am Sonntag waren dann nach einem 15-minütigem Video zum Thema Safeguarding Österreichs Top-Trainer Gregor Högler und Philipp Unfried an der Reihe. Der studierte Maschinenbauer Högler erläuterte eindrucksvoll den Zusammenhang der physikalischen Gesetze und der Wurftechniken. Abgeleitet von diesen Anforderungen und mit Hilfe von zahlreichen Trainingsgeräten entwickelte er seine eigenen Trainingsprogramme, bei denen das exzentrische Training im Mittelpunkt steht. Mit vielen Videos seiner Top-Athleten Victoria Hudson und Lukas Weißhaidinger gelang ihm ein lebendiger und praxisnaher Beitrag.
Der Abschlussbeitrag der Tagung gehörte ÖLV-Sprinttrainer Philipp Unfried, der die Bedeutung der Geschwindigkeitsmessung zur Maximalkraft-Entwicklung sprach. Anhand von interessanten Grafiken verglich er dabei auch die Kraftleistungen seiner heimischen Athletinnen mit jenen von internationalen Medaillengewinnerinnen. "Das Krafttraining ist ein wichtiger Steuerparameter zur Entwicklung der Bestform zum Saisonhöhepunkt", sagte Unfried.
Die erstmalige Durchführung einer Veranstaltung der European Coaching Summit Series in Österreich war aus vielerlei Hinsicht ein voller Erfolg. Die vier Referenten waren top, die internationale Resonanz war ausgezeichnet und mehr als 30 heimische Coaches profitieren von dieser Veranstaltung. Das Sportzentrum Niederösterreich bot den optimalen Austragungsort für den Mix aus Theorie und Praxis. Der ÖLV überlegt, sich im Jahr 2026 neuerlich um die Ausrichtung einer solchen hochkarätigen Veranstaltung in Österreich zu bewerben.
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- Vorbericht: "Weltklasse-Coaches zu Gast in St. Pölten"