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U23-EM - Innenansichten aus Espoo – Freitag

Kingley © Coen Schilderman

Die feine Leistung von Carina Reicht brachte gestern noch eine illustre Abendgesellschaft zusammen. Das Reden und Lachen über die Ereignisse des Tages hat immer kathartische Wirkung. Rolf Meixner berichtete vom großen Leichtathletikevent, das am 26.Juli in Eisenstadt stattfinden wird. Es wird die Weltklasse im Speerwurf versammelt sein. Weltmeister Johannes Vetter wird genauso dabei sein wie Olympiasiegerin Sara Kolak. 

Heute ist wieder ein Prachttag am Meerbusen. Am Himmel gibt es die Sonne und Schäfchenwolken. Es hat 19 Grad in Espoo, die eine polyglotte Stadt ist. Die Menschen hier sind zweisprachig. Finnisch und Schwedisch sind gleichrangige Amtssprachen.

Der Morgen im Stadion beginnt durchwachsen. Niklas Strohmayer-Dangl ist beim Aufwärmen extrem angespannt und nervös. Im Stadion bleibt dann seine Bahn für die lange Hürdenstrecke leer, und im Computer scheint DNS auf.

Leo Köhldorfer startet ebenfalls über die 400 m Hürden. Seine Bestzeit von 50,52 Sekunden lassen Wünsche und Erwartungen blühen. Er geht kraftvoll aus dem Startblock und ist bald im Vorderfeld. Nach 200 m ist Leo – aus meiner Perspektive - auf dem dritten Rang und hat noch die Kurvenvorgabe vor sich. Nach 300 m fordert die Biologie in diesem anstrengenden Bewerb ihren Tribut. Es  wird haarig. Das Feld schiebt sich zusammen, und jeder fightet gegen jeden. Köhldorfer wird mit 51,84 s Fünfter in seinem Lauf, was für den Aufstieg in den Zwischenlauf nicht reicht.  

Im Stadion ist es nicht wie bei einer Formel-1-Veranstaltung, wo im VIP-Bereich der  Laufsteg der Reichen und Schönen ist. Reiche gibt es nicht, aber viele Schöne im Innenraum des Stadions. Athletische und attraktive Menschen, von denen die meisten jeden Beauty-Katalog  bereichern würden. Auffallend ist auch, dass es in der Leichtathletik kaum bebilderte und genadelte Jugendliche gibt.

Der Weitsprung mit Chiara-Belinda Schuler im Siebenkampf ist weder lang noch weilig. Ziel ist, die Position im Klassement zu verbessern. Das gelingt. Chiara springt 5,63 m, 5,36 m und schließlich 5,80 m. Damit rückt sie auf den achten Gesamtrang vor und hat jetzt 4.204 Punkte.

Die Vorläufe über die 400 m Hürden der Frauen werden ein Leckerbissen. Gleich drei österreichische Anwärterinnen für den Aufstieg sind im Stadion: Lena Pressler, Anna Mager und Anja Dlauhy. Bei Hürdenläufen haben selbst Menschen mit schwachem Blutdruck ein sprudelndes Erlebnis. Die Hindernisse, die Kurvenvorgaben und die Milchsäure lassen erst auf der Zielgeraden erahnen, wer gewinnen wird. Das gilt auch für die Österreicherinnen. Man kann sich mit Prognosen leicht im Konjunktiv verheddern.

Doch schon Lena macht alles richtig beim Richtigmachen. Sie dominiert das Rennen und hat am Ende noch den Lustgewinn, das Tempo abzustellen. Lena siegt mit 57,60 Sekunden. Ein Lauf mit Hochamtscharakter.

Anna hingegen ist gleich mit einem Fehlstart konfrontiert. Hat sie beim Start gezuckt? Grüne Karte, es geht weiter. Der zweite Start gelingt, und der Lauf entwickelt sich dramatisch. Mager kommt gut weg, der Laufrhythmus gelingt jedoch nicht in der ÖNORM. Sie gibt sich voll aus, und wird Zweite. In der Mixed Zone ist sie noch immer ohne Atem. Mit 58,54 s egalisiert Mager ihre Bestzeit und steigt in die nächste Runde auf. Welch imponierende Leistung.

Anja Dlauhy kommt vom Siebenkampf und hat das Limit für den 400-m-Hürdenlauf erst spät erbracht. Sie will ihre Bestzeit von 60,07 Sekunden bestätigen. Victoria Schreibeis ist optimistisch, dass das gelingen wird. Anja läuft ein mutiges Rennen und finisht mit 60:45 Sekunden. Damit ist Vicki und Anja zufrieden. Mit Recht.

Anja Dlauhy mit Trainerin
Anja Dlauhy und Trainerin Victoria Schreibeis

Dann die 5.000 m mit Sebastian Frey. Es hat einstweilen 22 Grad und der Wind ist nicht im Schlafmodus. Das Ziel von Sebastian ist, vorne mitzulaufen, um am Ende die Chance auf einen Topplatz zu haben. Daher reiht er sich gleich in das Spitzenquartett ein: GBR, FIN, NOR und AUT. Das sind die führenden Nationen. Bald kommen noch DEN und FRA dazu, und bald löst sich auch diese Formation wieder auf. Der Brite Charles Hicks und der Finne Eemil Helander ziehen davon und werden dann auch Erster und Zweiter. Für Sebastian wird der Abstand nach vorne immer größer. Sechs Runden vor dem Ziel muss Sebastian abreißen lassen. „Mir wurde die Luft knapp, und es ging nichts mehr. Aufgeben ist aber sowieso nie mein Ziel“, sagt er in der Mixed Zone.

Im Stadion wird der Finne Helander bei jedem Zieldurchgang mit Standing Ovations angefeuert. Es ist ausgelassene Stimmung im Stadion. Das hätte ich mir auch für Sebastian gewünscht. Er wird schließlich 15. Sein Resümee hat eine versöhnliche Grundierung: „Es gibt im Sport gute und schlechte Tage. Heute war für mich kein guter Tag. Das muss man abhaken.“ Es wird eine Interpunktion in seiner Karriere bleiben.

Sebastian Frey mit Trainer
Trainer Thomas Dreissigacker und Sebastian Frey

Mein Zimmerkollege ist Georg Werthner. Er hat eine große Sportvergangenheit und eine beeindruckende Trainergegenwart. Dazu ist er ein lebendes Lexikon für Zeiten, Weiten und Höhen, die jemals auf der Erde erzielt wurden. Einige reichen bis zum Urknall zurück. Vor allen ist Werthner aber in Espoo, um Endiorass Kingley, den österreichischen Branchen-Primus im Dreisprung, zu coachen.

Der Wettkampf, bei dem es um den Einzug ins Finale geht, ist mit Chili gewürzt. Endiorass legt gleich 15,32 m vor und ist damit Vierter seiner Gruppe. Das macht ihm der Lette Sandis Dzentitis exakt nach. Beim zweiten Dreisprung bringt Kingley 15,17 m in den Sand. Auch das macht ihm der Lette nach. Es steht kurz vor knapp, um unter die besten Zwölf zu kommen. Dann lässt sich Kingley nicht mehr auf Zahlenspiele im Nanobereich ein. Er bringt im dritten Sprung 15,44 m in die Grube. Das bedeutet nicht nur Rang acht insgesamt, sondern auch die Eintrittskarte für das Finale. Ganz unter uns: Ich freue mich schon auf morgen.

Kingley und Trainer
Zwei Dreispringer von heute und gestern

Vor den 100 m Hürden der Frauen gesteht  mir Hannah Krawanja, dass sie fit und nervös zugleich ist. Es ist ihr erster Start bei einer Europameisterschaft. Ihre Mutter hat es sich nicht nehmen lassen, sie nach Finnland zu begleiten. Die Premiere gelingt gut. Hannah läuft 14,14 Sekunden und rechtfertigt damit ihre Entsendung. Und die Mama freut sich auch.

Auch Lena Lackner fühlt sich bereit und freut sich auf den Lauf. Sie ist nach langer Verletzung wieder in Schwung gekommen. Herwig Grünsteidl hatte nicht viel Zeit, sie wieder behutsam aufzubauen. In der Mitte des Hürdenlaufs führt die Britin Abigail Pawlett, vertrippelt sich bei einer Hürde und landet im Tränental. Lena hingegen läuft mit 13,86 Sekunden auf ihre persönliche Hochebene. Sie wird Sechste im dritten Heat.

Lackner und Krawanja mit Trainer
Herwig Grünsteidl mit Hannah Krawanja und Lena Lackner

Am Abend vor Beginn des Speerwerfens der Siebenkämpferinnen wird das Stadion zum Feuchtbiotop. Es schüttet, und Espoo wankt durch den Ausläufer eines Italientiefs. Pause bis 19 Uhr. Dann startet Chiara-Belinda Schuler in den Speerbewerb. Und wie? Beim ersten Versuch sticht der Speer bei 47,50 m ein. Damit sprengt sie die Excel-Tabelle und schiebt sich auf den dritten Gesamtrang vor. Nach dem zweiten Wurf auf 46,92 m holen die Konkurrentinnen Punkte auf. Es ist noch nicht vorbei. Während mein Text altert, legt Chiara nochmals nach. 47,70 m bedeuten Siegerin des Speerwerfens. Damit rückt sie auf den fünften Platz vor. Vor dem finalen 800-m-Lauf wird man vom Rückblicker zum Vorschauer. Was kommt am Ende heraus?

Einstweilen wirft Silja Kosonen mit 73,71 m neuen Championships Record mit dem Hammer. 

Dann die 800 m. Der letzte Bewerb zweier Wettkampftage für Chiara-Belinda Schuler. Darüber ist schnell erzählt. Chiara läuft ein gutes und kluges Rennen. Sie hält sich zwei Runden lang auf dem letzten Platz der Kolonne auf, da das Tempo vorne sehr schnell ist. Erschöpft fällt sie ins Ziel. Ihre 2:23,35 min bedeuten Saisonbestleistung. Am Ende hat sie 5.799 Punkte, womit sie den fünften Platz im Siebenkampf belegt. Sie ist die Heldin des Tages, und man kann ihr nur gratulieren.

Für heute ist jetzt die Füllfeder leergeschrieben. Der Tag begann mit einem Fragezeichen und endet mit vielen positiven Rufzeichen. Ein guter Tag für die österreichische Leichtathletik. Bleiben Sie dran.

Herbert Winkler

Fotos © ÖLV, Winkler und ÖLV, Schilderman

14/07/23 21:36, Text: Clara Baudis

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